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Für wen ich schreibe

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Beim Hinrudern auf dem Gedankenfluss,
Der schnell dahinstiebt,
Geschieht es wohl, dass ich mich fragen muss,
Was eigentlich mein inn’rer Antrieb ist,
Mir einen Sinn gibt
Und gleichsam mich ernährt und an mir frisst;
Und weiter frag‘ ich mich gelegentlich,
Für wen ich schreibe,
Für wen und was all die Gedanken ich,
Obschon so oft mein Inn’res widerstrebt,
Ins Dasein treibe,
Auf dass es in der Welt dann bleibt und lebt.

Für wen ich nicht schreibe, ist leicht erzählt,
Rasch zugegeben –
Für den, der Tier- und Menschenherzen quält,
Hab‘ ich Verachtung nur und Bitterkeit
Und für mein Leben
Lieg‘ ich mit solcherlei Gezücht im Streit;
Nie schenk‘ ich unser’n Staatschefs auf den Knien
Ein paar Episteln
Und werde gern in ihre Kriege zieh’n,
Nein, für sie nur Verse voller Ironie,
So scharf wie Disteln,
Aber ein blindes Speichellecken? Nie!

Ich schreib‘ für die, die ungesehen sind
Und unbeschrieben,
Verlassen, sorgenschwer und tränenblind,
Die heimatlos, entwurzelt sind und stumm,
Die man vertrieben,
Geschlagen und gehetzt hat um und um;
Ich schreib‘ für Freiwild, weil ich selbst eins bin,
Ein Kind der Steppe,
Halb Mensch, halb Wolf, flieg‘ ich allein dahin
Als dunkler Geist, indem ich unentwegt
Die Ketten schleppe,
Die langes Ausgestoßensein mir auferlegt.

Ich schreib‘ für die, die ich im Herzen trag‘
Das ganze Leben
Und die entschwunden sind schon manchen Tag,
Die mich verließen, weil ich nicht der Rechte war,
Und weil ich eben
Einfach nicht klüger wurde Jahr für Jahr;
Ich schreibe, weil ich hoffe, einmal nicht
Mehr zu verletzen,
Wenn manchmal auch die Missgunst aus mir spricht,
Ich schreibe, um mich dafür ein-
Und durchzusetzen,
Dass manche mir womöglich einst verzeih’n.

Ich schreib‘ wohl auch, um, wenngleich ungeseh’n
Und kaum bemerket,
Das Wort zu finden, das die Welt sich dreh’n
Und alles wachsen und gedeihen lässt,
Die Herzen stärket
Und in sie frischen Lebensodem presst;
Ich schreibe für mich selbst und für mein Herz,
Wie ich bekenne,
Dass nicht erlische meine Lebenskerz‘,
Dass sie noch lange fleißig leuchten kann
Und weiterbrenne
Und zünde jedem ein Leuchtfeuer an.

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Autor:in

Goldmund1995

Geboren wurde ich am 19.06.1995 in Northeim, Niedersachsen. Momentan lebe ich in Marburg und bin Autor mehrerer Gedichtbände. In meiner künstlerischen Arbeit bin ich bestrebt, eine Renaissance ohne Rückschritt zu vollziehen, also der Lyrik wieder zu dem Glanz zu verhelfen, den sie einmal hatte und der ihr in Zeiten von Poetry Slam und ähnlichen Auswüchsen oft abhanden kommt. Dabei fällt auf, wie tief Gedichte bei Livelesungen in die Seelen der Zuhörenden einzudringen vermögen, selbst wenn diese vorher dies niemals vermutet hätten. Solange man selbst um eine gewisse objektiv nachweisbare Qualität bemüht ist und nicht versucht, es den falschen Leuten recht zu machen, kann die Tätigkeit als Lyriker eine äußerst erstrebenswerte sein. Hätte Hermann Hesse diese Meinung nicht geteilt, gäbe es diese Seite nicht.

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