Theodor Heuss

Hesses landschaftliche Kunst ist von erster Hand. Sie unterscheidet sich innerhalb der übrigen zeitgenössischen deutschen Dichtung durch eine sozusagen größere Körperlichkeit. Wir sind etwas durch «Stimmung» verwöhnt und verweichlicht. Auch Hesse gibt Töne und Stimmung, aber er füllt sie mit Konturen, festen und gewissen Strichen. Aus seinem Schildern kommt kräftige Anschauung. Mit einer großen sprachlichen Disziplin zwingt er Gehalt und Form einer Landschaft, eines Naturbildes in unsere Vorstellung. Als zweites nannte ich: Erinnerung. Das eigene Leben, Erfahrungen, Eindrücke der Jugend, die Jahre der Heimat bieten sich seiner Dichtkunst als Material. Dies ist sehr wesentlich, denn davon erhalten seine Werke die Gebärde vertrauter Wahrheit. Man kann ja nach solchen Werten die Dichter scheiden. Hesse gehört zu denen, die aus dem eigenen Leben gestalten: ihre Phantasie ist gezügelt, alle dichterische Energie strömt in die Darstellung.

Das literarische Echo. 15. September 1907

Klabund

Ich bewundere Hermann Hesse, daß er, ein Mann in den Vierzigern, es aus eigenster Kraft über sich gebracht hat, noch einmal von vorn anzufangen, noch einmal ein neuer, ein junger Mensch zu werden. Er ist der einzige von den Dichtern seiner Generation, der das zustande gebracht hat. Er hat mit einem entschiedenen Ruck sein altes Gewand von sich abgeworfen. Er hat den Mut, neu zu beginnen, eingedenk des alten Tao-Wortes, daß der Weg, nicht das Ziel den Sinn des Lebens mache.

Die Neue Rundschau. 1920

Lulu von Strauß und Torney

Ein mit tiefer Innenschau begabter Deuter menschlichen Wesens hat heute die Theorie aufgestellt, daß jeder Mensch in einem bestimmten Lebensalter seine eigentliche Wesenheit und Erfüllung erreiche und innerlich sich dieses Lebensalter bewahre, auch wenn er äußerlich darüber hinaus altere. Hermann Hesse hat sich den Jüngling in seiner Seele bewahrt, den Zwanzigjährigen, den unbürgerlich Schweifenden, Sehnsüchtigen, den ewigen Sucher. Aber ein Dichter hat viele Seelen. Den unsterblichen Jüngling in sich hütend, wuchs die seine zugleich erlebend und erleidend zur geklärten Reife des Mannes und sah aus Reife auf ihre eigene Frühe zurück, deutete ihren Weg und erkannte ihr Gesetz.

Die Tat. 1922

Alfred Wolfenstein

Dies Werk [«Der Steppenwolf»] spricht in scharfen, erschütternden, phantastischen und klaren Worten zu uns, es hat eine wunderbare Höhe über jener einst seinen Dichter umfangenden Sentimentalität erreicht (die ihm jetzt nur wertvoller scheint als etwa überhaupt keine Gefühle zu haben). Der Tumult der Gegenwart zeichnet sich deutlicher als an den mitschwankenden Gestalten an solchem Werk eines überragenden redlichen Dichters ab. Es ist, glaubt man sagen zu dürfen, ein willkommener Vorstoß zur immer noch so schwachen Front aller Freunde einer zukunftsreichen Auflösung, aller Feinde dieser alten, in ihrem Gegeneinander wie in ihrer Ordnung gleich falschen Welt… Der Steppenwolf ist eine Dichtung des gegenbürgerlichen Mutes.

In: Die Weltbühne 29 vom 19. Juli 1927

Stefan Zweig

Die merkwürdige Reinheit der Prosa, die Meisterschaft des Aussagens gerade der unsagbarsten Zustände gibt Hermann Hesse… einen ganz besonderen Rang in der deutschen Dichtung… Seine Sphäre ist heute noch nicht ganz zu umgrenzen und ebenso wenig seine letzten Möglichkeiten. Aber dies ist gewiß, daß alles dichterische Werk, das heute nach solcher innerer, gleichzeitig entsagender und beharrender Verwandlung von Hermann Hesse ausgeht, Anspruch auf äußerste moralische Geltung und unsere Liebe hat, daß man ihm, bei aller Bewunderung für das meisterlich Getane, noch die gleiche Erwartung wie einem Beginnenden entgegenbringen darf und soll.

In: Neue Freie Presse, Wien, 6. März 1932

André Gide

Bei Hesse ist nur die Ausdrucksform temperiert, keineswegs aber Empfindung und Gedanke. Und was den Ausdruck des Empfindens und des Denkens mäßigt, das ist ein erlesenes Gefühl für das Angemessene, für Zurückhaltung, für Harmonie und – in bezug auf das Universum – für den inneren Zusammenhang der Dinge. Und ferner ist es eine Art latenter Ironie – eine Gabe, die, wie mir scheint, nur sehr wenigen Deutschen verliehen ist. Es gibt bittere Sorten von Ironie: Ergießungen der Galle und der bösen Säfte. Die andere, so reizvolle Spezies jedoch, über die Hesse verfügt, scheint mir ein Ergebnis zu sein der Fähigkeit, von sich selbst abzusehen, seines Wesens innezuwerden, ohne nach sich hinzusehen, zur Selbsterkenntnis zu gelangen ohne Selbstgefälligkeit. Diese Art Ironie ist eine Form der Bescheidenheit – einer Haltung, die um so liebenswerter erscheint, von je höheren Gaben und inneren Werten sie begleitet wird.

Vorwort zu einer französischen Übersetzung der «Morgenlandfahrt». 1942

Thomas Mann

Für mich gehört dies im Heimatlich-Deutsch-Romantischen wurzelnde Lebenswerk bei all seiner manchmal kauzigen Einzelgängerei, seiner bald humoristisch-verdrießlichen, bald mystisch-sehnsüchtigen Abgewandtheit von Zeit und Welt zu den höchsten und reinsten geistigen Versuchen und Bemühungen unserer Epoche. Unter der literarischen Generation, die mit mir angetreten, habe ich ihn, der nun das biblische Alter erreicht, früh als den mir Nächsten und Liebsten erwählt und sein Wachstum mit einer Sympathie begleitet, die aus Verschiedenheiten so gut ihre Nahrung zog wie aus Ähnlichkeiten.

Neue Zürcher Zeitung. 2. Juni 1947

Manfred Hausmann

Wem nicht deutlich geworden ist, daß das Leidenmüssen und Leidenkönnen Hermann Hesses Wesen bestimmt, der vermag weder seine menschliche Haltung noch seine dichterische Hervorbringung noch auch seine Neigung zu den Weisheiten des Ostens zu verstehen, die für ihn im Alter so bedeutsam geworden sind. Nicht, als ob er sich zum Leiden drängte oder im Leiden ein Verdienst sähe oder gar sein Leiden kultivierte. Er nimmt es hin, das körperliche wie das seelische, als etwas, das untrennbar zu ihm gehört, auch zu seinem Dichtertum.

Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. 1957

Marting Buber

Hermann Hesse hat dem Geiste gedient, indem er als Erzähler, der er ist, vom Widerspruch zwischen Geist und Leben und vom Streit des Geistes gegen sich selber erzählte. Eben dadurch hat er den hindernisreichen Weg wahrnehmbarer gemacht, der zu einer neuen Ganzheit und Einheit führen kann. Als der Mensch aber, der er ist, als der homo humanus, der er ist, hat er den gleichen Dienst gedient, indem er stets, wo es galt, für die Ganzheit und Einigkeit des Menschenwesens eintrat.

Neue deutsche Hefte. August 1957

Peter Handke

Ich habe die Bücher mit großem Staunen und immer mehr Neugierde gelesen. Dieser Hermann Hesse ist nicht nur eine romantische Idee der Amerikaner, sondern ganz gewiß ein vernünftiger, überprüfbarer großer Schriftsteller.

1970

Peter Härtling

Ich war vierzehn oder fünfzehn, als ich «Unterm Rad» las. Hier sprach einer das aus, was mich schier erstickte. Er tat es nicht in der distanzierten Sprache der besserwisserischen Erwachsenen, er schien mir vielmehr noch im nachhinein verstrickt, und seine Phantasien glichen den meinen. So habe ich auch andere Bücher Hesses gelesen. Er war mir vertrauter als die meisten Schriftsteller, denn ihm habe ich mich wenigstens einmal, ohne daß ich ihn kannte, anvertrauen können.

Über Hermann Hesse. 1977

Jean Améry

Hesse … war bisweilen so etwas wie ein Dichter «fürs deutsche Haus», jenes gemütlich-unheimliche Haus, in dem man schlecht zu unterscheiden wußte zwischen lauterem Gold (ich denke hier an die früheren, sauberen, kühlen Schwabennovellen und den sehr schönen Roman «Unterm Rad») und flimmerndem Talmi. Zu anderen Zeiten, während des Ersten und Zweiten Weltkriegs, war er ein halber Landesverräter in den Augen seines bürgerlichen Publikums. Man hat seinen «Demian», hat den «Steppenwolf» und namentlich «Narziß und Goldmund» überschätzt und danach ihn als Kitsch-Konfektionär abgefertigt, was er nun auch wieder nicht verdiente – ebensowenig wie die neueste Überschätzung, die via USA, Fernostphilosophie-Inflation, Zen-Buddhismus, Drogenfreude seit etwa 1968 Deutschland heimsuchte zur Freude seines Verlegers.

Merkur. 1978

Texte aus:
Bernhard Zeller: Hermann Hesse. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1991. Seite 165-168.