Im November 1946 wurde Hermann Hesse der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sein Gesundheitszustand verbot ihm, nach Schweden zu reisen, um den Preis persönlich entgegenzunehmen. Aber in seiner Dankadresse erklärt er:

„Ich fühle mich mit Ihnen allen vor allem durch den Gedanken verbunden, welcher der Stiftung Nobels zugrunde liegt, den Gedanken von der Über-Nationalität und Internationalität des Geistes und seiner Verpflichtung, nicht dem Kriege und der Zerstörung, sondern dem Frieden und der Versöhnung zu dienen. Darin, daß der mir verliehene Preis zugleich eine Anerkennung der deutschen Sprache und des deutschen Beitrags an die Kultur bedeutet, sehe ich eine Gebärde der Versöhnlichkeit und des guten Willens, die geistige Zusammenarbeit aller Völker wieder anzubahnen.“

 

 

Kleine Geschichte der Zuerkennung des Nobelpreises an Hermann Hesse

– von Dr. Kjell Strömberg, ehemaligem Kulturattaché an der schwedischen Botschaft in Paris

In den Jahren unmittelbar vor dem letzten Krieg bot die Liste der von der Nobelstiftung für den Literaturpreis vorgeschlagenen Kandidaten durchweg nicht viel Abwechslung. Jahr für Jahr kehrten dieselben Namen wieder, und sie verschwanden erst beim Ableben der Kandidaten, falls diese nicht vorher noch das Glück hatten, von dem hohen Areopag der Preisverleiher ausgewählt zu werden. Mit wenigen Ausnahmen hatten die schließlich Ausgezeichneten viele Jahre antichambrieren müssen. Die Unterbrechung, die der Krieg in die Reihe der Preisträger gebracht hatte, scheint allerdings auch eine gewisse Erneuerung der vorschlagsberechtigten Bildungsinstitute herbeigeführt zu haben, so daß seit 1946, dem ersten Jahr des wiedergewonnenen Friedens, die Zahl neuer, im Wettbewerb an der Seite der alten erscheinenden Kandidaten beträchtlich zunahm. Unter den in diesem Jahr erstmals vorgestellten Persönlichkeiten befinden sich nicht weniger als fünf künftige Preisträger – unter ihnen zwei Franzosen: André Gide und Francois Mauriac, zwei Engländer: T. S. Eliot (bereits im Jahr vorher zur Wahl angemeldet) sowie Sir Winston Churchill, und schließlich ein Russe: Boris Pasternak.

Doch gewann diesmal einer der »Alten«, nämlich Hermann Hesse, der seit mindestens fünfzehn Jahren zur Wahl stehende Kandidat, den edlen Wettstreit um den Literaturpreis des Jahres 1946. Schweizerischer Staatsbürger deutscher Herkunft, gehörte dieser 1877 geborene Schriftsteller zur Generation von Thomas Mann, dem Nobelpreisträger von 1929; mit ihm ist er als beredter Vertreter und Verteidiger des abendländischen Humanismus oft verglichen worden, jenes Humanismus, den die neuen Herren ihres gemeinsamen Vaterlandes eben noch so brutal verhöhnt hatten. Der schmeichelhafte Vergleich erschwert natürlich eine gerechte Würdigung seines mehr oder weniger in diesem großen Schatten stehenden Werkes, man muß jedoch hervorheben, daß Thomas Mann selbst keine Gelegenheit versäumt hat, die Verdienste des zwei Jahre Jüngeren hervorzuheben; er war außerdem der erste, der beharrlich für Hermann Hesses Kandidatur eintrat, bis sie diesem dann schließlich auch zuteil wurde. Andererseits hatte sich Hesse – dessen Großvater väterlicherseits Balte und dessen Großvater mütterlicherseits Welschschweizer gewesen war – seit dem Ersten Weltkrieg offen vom offiziellen Deutschland losgesagt. Er hatte sich in der Schweiz niedergelassen und war dort im Jahre 1923 naturalisiert worden – ein Umstand, der die Verbreitung seiner Werke, sogar vor Hitlers Machtübernahme, auf deutschem Boden nicht gerade begünstigte. In der übrigen Welt war sein Werk vor der Zuerkennung des Nobelpreises – abgesehen vielleicht von den skandinavischen Ländern – trotz teilweiser Übersetzung ins Französische und ins Englische kaum bekannt gewesen.

In seinem ersten Bericht vom Jahre 1931 über dieses Werk betonte Per Hallström, der damalige Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, entgegen der allgemeinen Meinung der deutschen Kritik, Hermann Hesse sei in erster Linie nicht Romancier und Philosoph, sondern ein ganz mit seinen persönlichen Problemen beschäftigter Dichter, obwohl sein wesentliches Schaffen aus den Prosaerzählungen von allerdings besonders gepflegtem Stil bestehe. In seinen Erzählungen, vor allem in »Peter Camenzind« und »Unterm Rad«, die beide vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, könne man einen deutlichen Einfluß von Gottfried Keller, dem klassischen Darsteller des ländlichen schweizerischen Wesens, erkennen. Seine eigentliche Originalität habe Hesse in den großen Romanen der zwanziger Jahre erreicht, vor allem in »Demian« (1919) und ganz besonders im »Steppenwolf« (1927). Beide seien von der tiefen Gewissenskrise geprägt, welche die abendländische Welt nach dem großen Morden zerriß. Das letztere Werk – eine Art Goethescher Bildungsroman neuer Formel, in dem sich Themen von E. T. A. Hoffmann, Nietzsche, Freud und Dostojewskij begegneten – sei als der Höhepunkt seines gesamten Schaffens zu betrachten.

Trotz seiner kaum verhohlenen Bewunderung ist der Berichterstatter jedoch nicht überzeugt, daß dieses beunruhigende Werk, das die menschliche Seele im Kampf mit den mannigfachen Versuchungen und Kräften der Zerstörung zeigt, tatsächlich dem literarischen und geistigen Streben entspricht, das der verstorbene Nobel durch seinen Preis unterstützen wollte – »es sei denn, der Erfinder des Dynamit hätte einen Instinkt des Bösen glorifizieren wollen, der das menschliche Denken blindlings zum Scheitern bringt«. Kurz, er konnte den Kandidaten von Thomas Mann nach bestem Wissen und Gewissen nicht vorbehaltlos für den »großen schwedischen Weltpreis literarischer Großtaten« empfehlen. So kommt es, daß der schon zuvor gekrönte Autor der »Buddenbrooks« und des »Zauberbergs« in einem zur Feier des sechzigsten Geburtstags Hermann Hesses von der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten, außerordentlich lobenden Artikel diesmal offiziell für seinen alten Freund und Exilgefährten, den Autor des seiner Meinung nach zu Unrecht verkannten »Steppenwolfs«, den Nobelpreis forderte.

Doktor Per Hallström hatte sich wiederholt in die Lektüre des umfangreichen Werkes von Hermann Hesse vertieft und über die Ergebnisse Rechenschaft abgelegt. Doch nicht einmal das Hauptwerk der späten Jahre, »Das Glasperlenspiel«, tausend Seiten, 1943 veröffentlicht, ein Ozean von einem Roman, hat seine Ansicht ändern können. Diese apokalyptische Vision von der Zukunft der Menschheit, die reife Frucht von zehn Jahren Arbeit und Spekulation, war geladen mit einem allzu unverständlichen Symbolismus, als daß sie die Aufmerksamkeit des zahlenmäßig begrenzten Publikums der kleinen Schweiz hätte fesseln können; mitten im Krieg hatte man andere Sorgen und ließ sich nicht gern mit diesem Übermaß an Pessimismus konfrontieren. Der deutsche Markt aber war seit Kriegsbeginn für Hermann Hesse streng gesperrt.
Alles in allem war es also seine lyrische Dichtung, die – gleichzeitig in ihrer Gesamtheit gesammelt und veröffentlicht – bei Hesses schwedischen Beurteilern den Ausschlag gab. Diese Poesie, besonders diejenige neueren Datums, bot nach Meinung von Anders Österling und einigen anderen kompetenten Mitgliedern der Akademie auf diesem Gebiet das Vollkommenste, was in der deutschen Sprache unserer Tage geschaffen worden war. Die Schwedische Akademie, von dem Wunsch beseelt, die reine Dichtung dort zu belohnen, wo sie in einem der Poesie feindlichen Klima noch blühte, wußte kaum eine bessere Gelegenheit und ein würdigeres Objekt zu finden, um diese Absicht zu verwirklichen: das ist die Schlußfolgerung der eingehenden Prüfung. Das Ganze, Vers und Prosa, gut gegeneinander abwägend, wird man sich einig, den Preis für 1946 Hermann Hesse zuzuerkennen »für sein inspiriertes, kühnes und tiefes Werk, das mit seinen verschiedenen Aspekten den klassischen Humanismus und zugleich eine Stilkunst von höchsten Werten repräsentiert«.

Hermann Hesse, von empfindlicher Gesundheit und ernstlich erkrankt, hatte sich in ein Sanatorium im Tessin nahe dem Luganer See, dem Ort, wo er sich auch für seine alten Tage ansiedelte, zurückgezogen; dort erfuhr er die unverhoffte Neuigkeit seiner Krönung. Da er nicht nach Stockholm fahren konnte, um den Preis selbst in Empfang zu nehmen, wurde dieser dem literaturkundigen Gesandten der schweizerischen Eidgenossenschaft in der schwedischen Hauptstadt, Henry Vallotton, übergeben. Anders Österling hielt im Namen seiner Kollegen von der Schwedischen Akademie die öffentliche Verleihungsrede und feierte Hermann Hesse als den größten zeitgenössischen Lyriker deutscher Sprache nach dem Ableben Stefan Georges und Rainer Maria Rilkes. Als Mensch guten Willens, stets treu seiner dichterischen Berufung, im Ringen um die bedrohten menschlichen Ideale, habe Hermann Hesse Wesenszüge gemeinsam mit Buddha und Franz von Assisi, aber auch mit Nietzsche und Dostojewskij.

In seiner Dankesbotschaft, die der schweizerische Gesandte nach der offiziellen Feier der Preisverleihung während des Banketts verlas, bekannte sich Hermann Hesse als leidenschaftlicher Verfechter der Idee, die sich in der Nobelstiftung verkörpere, »der Idee der Überstaatlichkeit und Internationalität des Geistes und ihrer Verpflichtung, nicht dem Krieg und der Zerstörung, sondern dem Frieden und der Völkerversöhnung zu dienen«. Für den Preisträger des Jahres bedeutete der ihm zuerkannte Preis weniger eine persönliche Ehrung als eine Anerkennung der Rolle, die der deutsche Beitrag für die gemeinsame Kultur noch spielen konnte, mit anderen Worten: eine Geste der Befriedung, geeignet, allen Völkern der Erde den Weg zu einem geistigen Zusammenwirken zu eröffnen…

Obwohl das Halbdutzend von Hesses Hauptwerken bereits vor seiner Auszeichnung übersetzt worden war, wurde sein Name eigentlich erst nach diesem Ereignis allgemein bekannt und sein gewaltiges, einige fünfzig Titel umfassendes Werk von der internationalen Kritik untersucht und in den Universitätsvorlesungen der Alten wie der Neuen Welt bis hin zum Fernen Osten besprochen. Japan scheint hinsichtlich der Zahl der Übersetzungen den Rekord zu halten, während die Vereinigten Staaten von Amerika – was die Zahl der dem Werk Hermann Hesses gewidmeten Doktorarbeiten betrifft – nach Westdeutschland an zweiter Stelle standen. Die neue Welle von Aufmerksamkeit, die sich während der letzten Jahre in den USA ausbreitete, ließ dort nun aber auch die Übersetzungen Raum gewinnen. In Frankreich waren Romain Rolland und André Gide lange Zeit Freunde und treue Briefpartner Hermann Hesses gewesen. André Gide, der das Vorwort zu der französischen Übersetzung von Hesses Buch »Die Morgenlandfahrt« (erschienen 1932) verfaßt hatte, konnte übrigens unmittelbar nach ihm seinen Namen in der Liste des Nobelpreises für Literatur verzeichnet finden.

Verleihungsrede

– von Anders Österling, ständigem Sekretär der Schwedischen Akademie anlässlich der feierlichen Überreichung des Nobelpreises für Literatur an Hermann Hesse am 10. Dezember 1946.

Majestät, Exzellenzen, meine Damen und Herren,

der Nobelpreis ist einem Schriftsteller zuerkannt worden, der auf allen Gebieten, denen er sich zuwandte, berühmt geworden ist, einem Schriftsteller deutschen Ursprungs, der geschaffen hat, ohne sich um die Gunst des großen Publikums zu kümmern. Der heute neunundsechzig Jahre alte Hermann Hesse kann auf eine bedeutende Produktion von Romanen, Novellen und Gedichten verweisen, die zum Teil ins Schwedische übertragen worden sind.

Er ist einer der ersten deutschen Schriftsteller gewesen, der sich vom Einfluß der Politik freimachte, indem er sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Schweiz niederließ und 1923 die Schweizer Staatsangehörigkeit erwarb. Es muß insoweit jedoch bemerkt werden, daß Hermann Hesse sich im Hinblick auf Herkunft und persönliche Verbundenheit bereits in seiner Jugend ebenso als Schweizer wie als Deutscher betrachten konnte. Als Bürger eines Landes, das zu den neutralen Schutzmächten Europas gehörte, durfte er sich seiner bedeutenden literarischen Aufgabe in verhältnismäßiger Ruhe hingeben, und die Ereignisse haben mit ihrer Entwicklung gezeigt, daß er hinfort neben Thomas Mann als der würdigste Verwalter des deutschen kulturellen Erbes innerhalb der zeitgenössischen Literatur gelten darf.

Mehr noch als bei den meisten anderen Schriftstellern müssen bei Hermann Hesse seine persönlichen Voraussetzungen ins Auge gefaßt werden, damit ein Begriff von den in der Tat erstaunlichen Elementen seiner Natur entstehen kann. Er entstammt einer streng pietistischen schwäbischen Familie; sein Vater war ein angesehener Kenner der Kirchengeschichte; seine Mutter, die Tochter eines Missionars französischer Herkunft, war in Indien aufgewachsen. Selbstverständlich wurde der Sohn zum Theologen bestimmt und als Gymnasiast in das Seminar von Maulbronn geschickt. Er entfloh von dort, ging als Lehrling zu einem Uhrmacher und später als Buchhändlergehilfe nach Tübingen und Basel.
Seine jugendliche Auflehnung gegen die Familienfrömmigkeit, eine Religiosität, die er gleichwohl sein Leben lang im Grunde des eigenen Wesens barg, erneuerte sich mit der Heftigkeit einer schmerzhaften inneren Krise, als er – ein gemachter Mann und bekannter Schriftsteller in seinem Vaterland – im Jahre 1914 neue Wege beschritt, die sich weit von den bisherigen idyllischeren Gefilden entfernten. Im Grunde kann man zwei Motive anführen, die den plötzlich eintretenden, völligen Wandel in Hermann Hesses Werk bestimmten.

Zunächst natürlich der Weltkrieg. Als er zu Anfang an seine sich ereifernden Kollegen einige Worte der Überlegung und der Beruhigung richten wollte und sich in seinem Appell Beethovens Devise zu eigen machte: »O Freunde, nicht diese Töne !«, rief er einen Sturm der Entrüstung hervor. Die deutsche Presse griff ihn heftig an, und er nahm sich diese Erfahrung sicherlich sehr zu Herzen. Die Attacke bestätigte ihm zugleich, daß die gesamte abendländische Kultur, an die er so lange geglaubt hatte, im Verfall begriffen war und zugrunde zu gehen drohte. Die Lösung mußte jenseits der geltenden Regeln gesucht werden, vielleicht im Licht des Orients oder auch als Keim in der ethisch-anarchischen Lehre von der Wiederkehr des Guten oder des Bösen in einer höheren Sphäre. Krank und unentschlossen, suchte er Heilung in der damals mit soviel Eifer verbreiteten und praktizierten Freudschen Psychoanalyse. Freuds Lehre hinterließ denn auch tiefe Spuren in den zu jener Zeit von Hesse veröffentlichten, immer kühner werdenden Werken.

Diese persönliche Krise fand ihren großartigsten Ausdruck in dem imaginativen Roman »Der Steppenwolf«, der 1927 erschien und die Zwiespältigkeit der menschlichen Natur in genialer Weise schilderte, jene Spannung zwischen dem Trieb und dem Geist bei ein und demselben Individuum, das sich außerhalb der alltäglichen sozialen und moralischen Anschauungen stellt. In dieser bizarren Geschichte des Menschen, der, gepeinigt von seiner Nervenkrankheit, gleich einem gehetzten Wolf überall heimatlos ist, hat Hesse etwas Unvergleichliches geschaffen, ein Buch, geladen mit Explosivstoff, gefährlich und unheilvoll, wenn man so will, aber zugleich befreiend durch seine Mischung von düsterem Humor und Poesie, mit denen Hesse den Stoff durchtränkt. Es geht um die Überwindung der Hemmnisse, aber zum Unterschied von der Mehrzahl der von Freud beeinflußten Romane der zwanziger und dreißiger Jahre ist der »Steppenwolf« ein ursprüngliches und inspiriertes Werk. Trotz aller modernen Probleme bleibt Hesse in der Linie der besten deutschen Tradition; der klassische Typ, an den diese ungewöhnlich suggestive Erzählung erinnert, ist E. T. A. Hoffmann, der Schöpfer der »Elixiere des Teufels«.

Als zweiter Faktor, der das Werk Hermann Hesses beeinflußt, mag gelten, daß er der Enkel des bekannten Indienkenners Gundert war und sich schon in seiner Kindheit von allen erschlossenen Quellen der indischen Weisheit angezogen fühlte. Als Hesse in reiferen Jahren eine Reise in das Land seiner Sehnsucht unternahm, lösten sich ihm zwar die Rätsel des Lebens nicht, doch erhielt sein Weltbild eine gewisse Prägung durch den buddhistischen Einfluß; die schöne Erzählung »Siddharta« (1922), die Legende von der Reinheit des jungen Brahmanen Buddha, ist nicht das einzige Zeugnis dafür. Ganz eigenartig schlingen sich in seinem Werk die verschiedensten Ideenverbindungen ineinander, die Franz von Assisi und Buddha, Nietzsche und Dostojewskij in einem Grade entliehen sind, daß man versucht sein könnte, Hesse zunächst als einen eklektischen Experimentator verschiedener Weltanschauungen zu betrachten. Doch ist das vollkommen falsch. Seine Wahrhaftigkeit und Ausgeglichenheit sind die idealen Grundlagen seiner Werke, und selbst bei der Behandlung gewagtester Themen verläßt er diese Linie nicht.
In seinen erfolgreichen Novellen zeigt sich uns seine Persönlichkeit unmittelbar und mittelbar. Seine stets aller Bewunderung würdige Stilistik erreicht ihre Vollkommenheit sowohl in der dämonischen Darstellung aggressiver Ekstase wie in den friedlichen Betrachtungen abgeklärter Lebensphilosophie. Die Geschichte von Klein, jenem verzweifelten Dieb, der nach Italien flieht, um dort nach seiner letzten Glücksmöglichkeit zu fassen, und die wunderbare, flüssig erzählte Schilderung des verstorbenen Bruders Hans in »Gedenkblätter« (1937) sind meisterliche Beispiele aus sehr verschiedenen Bereichen.

Ein besonderer Platz in Hermann Hesses Werk gebührt dem großangelegten Roman »Das Glasperlenspiel« (1943), einer Phantasie über einen geistigen Geheimbund von der heroisch-asketischen Art des Jesuitenordens, der auf der Ausübung einer Art meditativer Therapie beruht. Diese Denklehre fordert höchste Beachtung: der Begriff des Spiels und seine Rolle innerhalb der Kultur begegnet der tief durchdachten Studie des Holländers Huizinga, »Homo ludens«, auf erstaunlich gleicher Ebene. Hesses Idee geht auf eine doppelte Bedeutung hinaus. In einer Zeit des Zusammenbruchs, meint er, obliege ihm die Aufgabe, die kulturellen Traditionen zu retten. Doch könne die Kultur auf die Dauer nicht in ihrer Kraft erhalten werden, wenn man sie in einen Kult von geringeren Werten umwandle. Wenn die Vielfalt der Erkenntnisse in ein formal abstraktes Spiel übertragen werden könne, sei das einerseits ein Beweis dafür, daß die Kultur auf einem organischen Mysterium beruhe, andererseits könne diese höchste Erkenntnis nicht als etwas Unvergängliches angesehen werden, sie sei zart und zerbrechlich wie Glasperlen, und das Kind, das die funkelnden Splitter im Schutt von Ruinen finde, wisse nicht mehr, was sie bedeuten. Ein Roman mit dem Gegenstand solider Weltanschauung läuft leicht Gefahr, als weltfremd betrachtet zu werden, aber gerade dagegen verteidigt Hesse seine Sache mit einigen gelassenen Zeilen zu Anfang seines Buches: »… denn mögen auch in gewisser Hinsicht und für leichtfertige Menschen die nicht existierenden Dinge leichter und verantwortungsloser durch Worte darzustellen sein als die seienden, so ist es doch für den frommen und gewissenhaften Geschichtsschreiber gerade umgekehrt: nichts entzieht sich der Darstellung durch Worte so sehr und nichts ist doch notwendiger, den Menschen vor Augen zu stellen, als gewisse Dinge, deren Existenz weder beweisbar noch wahrscheinlich ist, welche aber eben dadurch, daß fromme und gewissenhafte Menschen sie gewissermaßen als seiende Dinge behandeln, dem Sein und der Möglichkeit des Geborenwerdens um einen Schritt näher geführt werden.«

Sollte jedoch Hermann Hesses Prosaschaffen eines Tages nicht mehr so hohe Geltung genießen wie im Anfang, so ist doch sein lyrisches Werk über alle Zweifel erhaben. Nach dem Tode von Rainer Maria Rilke und Stefan George steht er als zeitgenössischer lyrischer Dichter deutscher Zunge an erster Stelle. Er verbindet eine erlesene Reinheit des Tons mit einer ergreifenden Wärme des Gefühls, und der Adel seiner musikalischen Form ist heute schlechthin unübertrefflich. Er verfolgt die Linie Goethes, Eichendorffs und Mörikes und trägt zum Zauber des Poetischen erneut mit einem ganz persönlichen Kolorit bei. Die Tragik seines Innern, seine gesunden und kranken Stunden, seine intensive Gewissensprüfung, sein Opfer, das er dem Leben bringt, seine Erzählfreude und sein Naturkult – das alles spiegelt sich mit ungewöhnlicher Klarheit in der Sammlung »Trost der Nacht« von 1929. Eine spätere Sammlung »Neue Gedichte« (1937) ist vom starken Atem reifer Weisheit und schwermütiger Erfahrung durchweht und strömt eine Zartheit des Gefühls aus in der Schilderung von Bildern, von der Atmosphäre und der Harmonie der Geschöpfe.

In einer so knappen Charakteristik ist es nicht möglich, den vielfältigen Werken gerecht zu werden, die diesen so bezwingenden Autor auszeichnen und die ihm mit vollem Recht eine Menge treuer Verehrer eingetragen haben.
In seinen etwas sektiererischen Thesen drückt sich die süddeutsche Gemütsart in einer sehr persönlichen Mischung von Ungebundenheit und Frömmigkeit aus. Wenn man die ständige Neigung zur Auflehnung in Betracht zieht, dieses unablässig brennende Feuer, das den Träumer zum Kämpfer macht, wenn es um ihm heilige Dinge geht, könnte man ihn zu den Romantikern rechnen. Über die Realität sagt er an einer Stelle, man dürfe sich keinesfalls damit begnügen, sie zu verehren und zu achten, denn diese elende, stets trügerische und unschöpferische Realität könne nur verändert werden, wenn man sie nicht wahrhabe, wenn man zeige, daß wir stärker sind als sie.

Die Hermann Hesse zuerkannte Auszeichnung ist also mehr als die Bestätigung des Ruhms. Sie will auch ein literarisches Schaffen ins rechte Licht rücken, das in seiner Gesamtheit das Bild eines guten Menschen zeigt, der gekämpft hat, der seiner Berufung mit beispielloser Treue gefolgt ist und dem es gelang, in tragischer Zeit das Banner des echten Humanismus hochzuhalten.
Leider hat sein Gesundheitszustand dem Autor die Reise nach Stockholm nicht erlaubt. Deshalb wird der Gesandte der schweizerischen Eidgenossenschaft in Schweden den Preis für ihn entgegennehmen.

Damit wandte sich der Redner an den Vertreter von Hermann Hesse, den Schweizerischen Gesandten Dr. Henry Vallotton:
Exzellenz, darf ich Sie jetzt bitten, aus der Hand Seiner Majestät des Königs die Insignien des Preises entgegennehmen zu wollen, die unsere Schwedische Akademie Ihrem Landsmann Hermann Hesse zuerkannt hat.