>> Das war Klingsors Sommer. Die glühenden Tage wanderte ich durch die Dörfer und Kastanienwälder, saß auf dem Klappstühlchen und versuchte, mit Wasserfarben etwas von dem flutenden Zauber aufzubewahren, die warmen Nächte saß ich bis zu später Stunde bei offenen Türen und Fenstern in Klingsors Schlößchen und versuchte, etwas erfahrener und besonnener, als ich es mit dem Pinsel konnte, mit Worten das Lied dieses unerhörten Sommers zu singen. So entstand die Erzählung vom Maler Klingsor. << *1
Klingsor ist aber nur eine von zwei Selbstprojektionen. Sein enger Freund, der blonde Dichter Hermann, ein zurückhaltender Schriftsteller, der traurige Gedichte schreibt, ist die zweite. Hesse kehrte zu seinem früheren Verfahren der doppelten Selbstprojektion zurück; die zweite Projektion ist, obwohl sie verschwommen bleibt, hier wieder ebenso real wie die erste. Klingsor ist, was Hesse im Sommer 1919 geworden war, und Hermann ist der zurückhaltendere und gemäßigtere Mensch, der Hesse gewesen war, der Mensch, der wieder zutage treten sollte, nachdem Klingsor verschwunden war. Diese beiden Selbstprojektionen werden gleichgesetzt mit den chinesischen Dichtern Li Tai Pe und Tu Fu, dem Abenteurer und dem Leidenden.
Auch diese expressive Dichtung ist ein Bekenntnis des Dichters, ein Akt der Befreiung. Er schreibt damals an Mathilde Schwarzenbach:
>> Ich habe das Gefühl in mir erneuert,, daß meine Seele im Kleinen ein Stück Menschheitsentwicklung darstellt, und daß im Grunde jede kleinste Zuckung in uns so wichtig ist wie Krieg und Frieden in der äußeren Welt […] Ich habe im Sinn, nochmals ganz von Neuem den Kampf mit der Form aufzunehmen, um für die neuen Inhalte, die ich zu sagen habe, den Ausdruck zu finden. << *2
Titelblatt der Erstausgabe aus:
Bernhard Zeller (Bearbeitung): Hermann Hesse. Eine Chronik in Bildern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. Erweiterte Auflage 1977. Seite 99.
Zitat aus:
*1 Volker Michels (Hrsg.). Schriften zur Literatur Band 1. Erinnerungen an Klingsors Sommer, Neue Schweizer Rundschau, 1944/45. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 1972. Seite 43ff.
*2 Ursula u. Volker Michels (Hrsg.): Gesammelte Briefe. Erster Band 1895-1921. Brief an Mathilde Schwarzenbach am 30.12.1919. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.1973. Seite 433.