Hinweis: Da sich dieser Bericht auf meine erste Calw-Reise bezieht, bitte ich den Leser, dies in Bezug auf die beschriebenen Umstände zu berücksichtigen. Seither hat sich auch in Calw vieles verändert. 😉

 

Calw 1999

Am 24.8.99 morgens um sieben Uhr brach ich auf, mit meinem Auto in Richtung Calw im Nordschwarzwald. Schon vor längerer Zeit hatte ich mir vorgenommen, einmal die Geburtsstadt des Dichters Hermann Hesse selbst kennenzulernen, nachdem sie mir als Leser seiner Erzählungen und Romane schon oft in schönen Worten beschrieben wurde.

Nach reibungsloser Fahrt kam ich dort gegen halb zehn Uhr an und suchte nach einem Parkplatz, den ich nach einem kurzen Abstecher in die Fußgängerzone dann auch fand. Das Schild „Nur mit Parkschein“ war halb von einem Baum verdeckt und ich freute mich über die kostenlose Parkmöglichkeit nicht weit vom Stadtkern entfernt. Dieser war alsdann auch mein erstes Ziel. Leider war das Wetter heute nicht überragend und der Himmel mit grauen Wolken verhangen, so daß ich meinen rot-weißen Regenschirm mit mir nahm. Mein Stadtplan leitete mich zuerst in Richtung Hermann-Hesse-Platz.

Calwer Stadtbild 1999

Auf dem Weg dorthin fiel mir natürlich gleich auf, daß das Stadtbild von zahlreichen Fachwerkhäusern geprägt wird, die der Innenstadt einen urtümlichen und gemütlichen Charakter verleihen. Zusammen mit den Straßencafés, Gaststätten und Eisdielen, die überall anzutreffen sind, lädt dies den Besucher zum längeren Verweilen ein.

Als ich dann auf dem Hesse-Platz stand, war ich allerdings etwas enttäuscht. Der ihm gewidmete Brunnen war verdreckt und als Mülltonnen-Sammelstelle benutzt worden. Auch am Nachmittag war dies noch so, an dem mein Foto entstanden ist. Naja, was soll’s, dachte ich mir, machte kehrt und ging zum Geburtshaus am Marktplatz.

Hier wurde er also geboren, der Hermann, vor 122 Jahren. Und nun stand ich hier vor diesem schönen Fachwerkhaus, in dem heute das Modehaus Schaber seine Kleidung verkauft, und betrachtete die Gedenktafeln neben der Eingangstür.

Hermann Hesses Geburtshaus in Calw

Auf einer Bank direkt davor machte ich erst mal Pause und aß den Kuchen, den ich mitgebracht hatte. „Hermännle, lauf nicht so weit weg und sei zum Abendbrot wieder da!“, hörte ich es in meiner Vorstellung die Mutter aus dem zweiten Stock ihrem Sohn hinterherrufen. Aber wahrscheinlich war er ja damals noch zu jung, um allein raus zu dürfen. Egal. Ich folgte dem Schild, das das Museum auswies, lief an der Stadtkirche mit ihrem spitzen Turm vorbei und schaute noch bei der Hesse-Abteilung der Buchhandlung Fuchs vorbei (sehr ordentlich).

Auf ein weiteres Schild wartend, stand ich zehn Minuten später auf einer Anhöhe über dem Ortseingang und dachte mir so langsam, daß dies wohl der falsche Weg war. Und tatsächlich, nachdem ich die Schleife wieder zurückgelaufen war und einen Wegweiser an einer Mauer entdeckte, fand ich das Museumsgebäude direkt hinter mir.

Hier verweilte ich dann erst einmal für die nächsten Stunden. Die umfangreiche Ausstellung ist sicherlich das Highlight für jeden Hesse-Touri und ich habe ihr desshalb einen eigenen Bereich gewidmet. Gegen zwei Uhr unterbrach ich meinen Rundgang, um bei der Metzgerei Franz (neben dem Rathaus) einen kleinen Imbiss einzunehmen: Currywurst und Pommes für günstige 5 DM.

Der Fluss Nagold bei Calw

Wieder gestärkt besuchte ich dann Herrn Rothfuss, den Kulturdezernenten der Hermann-Hesse-Stadt, auf ein kleines Gespräch in seinem Büro (wofür ich mich an dieser Stelle nochmal bedanken möchten). Ich empfehle jedem Calw-Besucher, sich sein Buch „Erinnerungen der Söhne an ihren Vater Hermann Hesse“ anzuschaffen, da es dieses nur dort zu kaufen gibt, z.B. im Museum.
Ein kleiner Spaziergang in südlicher Richtung führte mich ein Stück aus dem Stadtgebiet heraus. Ich wollte die Nagold und ihre Uferlandschaft kennenlernen. Zuvor noch von Beton umschlossen, entfaltet das seichte Flüsslein erst hier seine wahre Schönheit, wo es sich zwischen den zu beiden Seiten steil ansteigenden, dicht bewaldeten Hängen einen Weg durch das Nagoldtal sucht.

Der Rückweg führte mich dann durch die Bahnhofstraße. Hier trifft man auf die ehemalige Werkstätte Perrot, in der Hesse zwischen Juni 1894 und September 1895 gearbeitet hat, das Haus Giebenrath (die heutige „Alte Post“) und nebenan auf den ehemaligen Sitz des Calwer Verlagsvereins, wo die Familie Hesse mit den Kindern im Zeitraum von 1886-89 und 1893-1905 gewohnt hatte.

Das Wetter war in der Zwischenzeit besser geworden, die Sonne blickte an einigen Stellen durch die Wolken. Ich ging links an der Kirche vorbei und etwas weiter führte eine steile Treppe hinauf, an Kleingärten vorbei, bis ich dann am Beginn eines Waldes stand und einen netten Überblick über die Dächer des Stadtzentrums hatte. Sicherlich muß es einige schöne Wanderwege rings um den Ort geben, doch dafür reichte meine Zeit nicht aus. Auf meinem weiteren Weg kam ich noch am Hermann-Hesse-Gymnasium vorbei, bevor ich wieder ins Stadtinnnere kam, das ich diesmal aber mied, um auch die kleineren Gassen und Wohnstraßen ringsum einmal zu sehen. Auch hier herrscht ein besonderes Flair, das durch die engen, teilweise am Berg liegenden Strassen und die verwinkelten Häuschen, von denen fast jedes einen eigenen, oft terrassenförmig angelegten Schrebergarten zu besitzen scheint, manchmal an südlichere Regionen Europas erinnert.

Marktplatz Calw 1999

Es war mittlerweile nach sechs Uhr, meine Füße zogen mich zum Parkplatz zurück und ich gehorchte bereitwillig. Die wichtigsten „Hesse-Stätten“ hatte ich meiner Auffassung nach gesehen und mir ein eigenes Bild von der „Großen Kreisstadt Calw“ machen können, die ich immer nur aus liebevollen Erzählungen kannte. Sicherlich kann man das Gegenwärtige nicht mit dem Vergangenen vergleichen. Doch neben dem Einzug von neuen Einkaufszentren und den Beigaben unseres modernen Lebens, wird versucht, das besondere Ambiente der kleinen Stadt, das sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat, beizubehalten. Und wie ich meine, mit Erfolg; wäre es doch sehr schade, wenn die historische Innenstadt ihr Gesicht verlieren würde, das ihr berühmtester Sohn einmal so beschrieb:

„Zwischen Bremen und Neapel, zwischen Wien und Singapur, habe ich manche hübsche Stadt gesehen, Städte am Meer und Städte hoch auf Bergen, und aus manchem Brunnen habe ich als Pilger einen Trunk getan, aus dem mir später das süße Gift des Heimwehs wurde. Die schönste Stadt von allen aber, die ich kenne, ist Calw an der Nagold, ein kleines, altes, schwäbisches Schwarzwaldstädtchen.“

In diesem Sinne kann ich nur jedem nahelegen, einmal selbst „auf Hesses Spuren“ diesem Schwarzwaldstädtchen einen Besuch abzustatten.