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Sommergöttin

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SOMMERGÖTTIN




Nein, sie würde nicht bleiben,


Nein, sie ist schon weg.


Nein, sie würde nicht schreiben,


Es hätte ja auch keinen Zweck.




Müde durch die Sonnenbrille


Schaut sie auf das weite Feld,


Und dann singt sie in die Stille


Von der losen, schnellen Welt.


Und dann streichelt sie die Gräser,


Weint und lacht, als ob nichts wär.


Ja, das war doch erst gestern...


Es ist so lange her.




Wollte ich sie denn vertreiben?


Doch sie war schon fort.


Nein, sie würde nicht bleiben,


An solch einem ernsten Ort.




Feuchter Wind geht durch die Blätter,


Wie ein Lächeln, scheu und klar,


Wie die Hand durch eines Mädchens


Loses, dunkelbraunes Haar.


Gleichen sie nicht Schwestern?


Wer ist Sommer, Frühling wer?


Traf ich sie nicht erst gestern?


Es ist so lange her.




Ich lasse mich treiben


In des Flüchtlings Versteck,


Nein, sie würde nicht bleiben,


Nein, sie ist schon weg.





Die weißen Wolken warfen


Schatten, und verwarfen sie.


Mit dem Fehlwurf trafen


Sie meine Phantasie.


Und das Zauberorchester


Spielte wie nie vorher.


Ja, das war doch erst gestern,


Es ist so lange her.




An den Fensterscheiben


Unabwaschbarer Dreck.


Nein, sie würde nicht bleiben,


Nein, sie ist schon weg.




Gelbsüchtige, rostrote Blätter,


Wie geschnittenes Haar,


Abgeschnitten vom Wetter,


Von dem endenden Jahr,


Sie liegen mir zu Füßen,


Blutgolden und freudeschwer.


Ja, das war doch erst gestern,


Es ist so lange her.




Ich wollte einverleiben


Nach dem Essen das Besteck.


Darum würde sie nicht bleiben,


Darum ist sie schon weg.




Es ist eine seltsame Zeit,


Wenn es in uns scheit.


Alles wird ernüchternd, kalt und weiß,


Zwischen uns brennt das Eis.


Doch jeder Tag ist Silvester,


Trauern ist Gotteslästern,


Denn es gibt gar kein Gestern,


Es gibt nur das Jetzt.




Nein, sie würde nicht bleiben,


Nein, sie ist schon weg.


Wollte es mit Australien treiben,


Doch sie vergaß ihr Gepäck.

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mondgewitter

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