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Napoli

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Die Camorra interessiert sich nicht für Touristen, sie verdient genug an den Schutzgeldzahlungen der Bewohner Neapels.

Und so stehe ich in der „Via Chiaia“ auf der Suche nach einem Italien – Dress und dieser bekannten Pizzeria, in der auch schon Bill Clinton essen war, wenn mir nur ihr Name einfallen würde, im Reiseführer würde er ja stehen, aber den habe ich im Auto liegen lassen und das steht am Bahnhof in Caserta. Überall wimmelt es von Leuten, großteils Touristen, aber hin und wieder findet sich ein Einheimischer, die man daran erkennt, dass sie nicht alle drei Meter ein Foto von irgendeinem Haus machen und nicht eine halbe Stunde am Zebrastreifen warten bis ein Auto stehen bleibt, sondern einfach, ohne zu schauen über die Straße gehen. Hier Auto zu fahren muss die Hölle sein, obwohl man sich mit der Zeit wohl daran gewöhnt, dass auf einmal jemand von hinten kommt und auf der durchaus breiten, aber nicht durch Trennlinien geteilten Straße einfach überholt, nur um sich danach gleich wieder vor einen zu drängeln. In Wien gäbe es bei so einer Aktion wahrscheinlich ein Hupkonzert sondergleichen, aber hier, hier scheint das normal zu sein, man fährt auf Kontakt, kleine Blechschäden stehen an der Tagesordnung, schlimmere Unfälle gibt es selten. Die Polizei kümmert sich nicht allzu sehr um den Straßenverkehr, die haben andere Sorgen, die Camorra ist immer noch mächtig und überall abseits der Touristenzentren anzutreffen.
Und genau abseits von diesen befinde ich mich nun. Ich bin in eine kleine Seitengasse der „Via Chiaia“ eingebogen, immer noch suchend nach einem Fussballdress oder zumindest einem T-Shirt auf dem „Italia“ oben steht und das die typische königsblaue Farbe hat. Ich brauche ein solches, habe ich doch in den wenigen Tagen, die ich hier bin gelernt, dass Italien ein tolles Land voller netter Menschen ist.
Vor einem der unzähligen Häuser in dieser kleinen Seitengasse sitzen ein paar dieser netten Menschen. Nur Männer, in Cord-Anzügen, mit weißen Hemden darunter. Sie trinken Wein und rauchen Zigarren, unterhalten sich rege, worüber weiß ich, dank mangelnder Sprachkenntnisse nicht, aber da sie Einheimische zu sein scheinen beschließe ich, sie nach einem Sportgeschäft zu fragen. Ich suche mir den aus, der am nettesten wirkt, ein alter Mann, silberne Haare, silberner Schnauzer, eine Goldkette um und eine dicke Zigarre rauchend. Er scheint der älteste in der Runde zu sein und das Gespräch anzuführen: „Scusi, dove „Foot Locker“?“ Drei Jüngere stehen auf und sehen mich wild an. Ich scheine irgendetwas falsch gemacht zu haben. Ist „Foot Locker“ im Italienischen ein Schimpfwort? Sie fangen an auf mich einzureden, auf Italienisch natürlich, ich verstehe kein Wort, sie schubsen mich herum, der Alte steht auf und gibt ihnen ein Handzeichen, worauf sie von mir ablassen und eine Art Gasse bilden, durch die der Alte jetzt tritt. Er mustert mich, geht im Kreis um mich herum, ich bin vor Angst wie gelähmt. Er postiert sich vor mir, bläst mir den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht, sieht mir kurz tief in die Augen. Er hat einen ernsten Blick aufgesetzt. Plötzlich wirft er den Kopf zurück und beginnt zu lachen. Er dreht sich zu der Runde zurück und sagt ihnen etwas, ich verstehe nur „touriste“ und merke, dass er erkannt hat, dass ich ein Tourist bin. Er legt seinen Arm um meine Schulter und bietet mir einen Platz an dem Tisch an. Ich will dankend ablehnen und eigentlich nur weitergehen, denn die Angst sitzt mir noch immer in den Knochen und ich würde lieber wieder in Richtung der Touristenzentren verschwinden, aber Widerworte lässt der Alte nicht gelten. „Where are you from?“ fragt er mich in perfektem Englisch. „Au...Austria!“ stottere ich ihm als Antwort zurück. „Ah, Österreich!“ Er scheint deutsch zu sprechen und das auch sehr gut. „Ich habe studiert in Wien! Willst du etwas trinken? Vino rosso?“ Ich möchte eigentlich ablehnen aber hinter mir steht schon einer der jungen Kerle mit einer Weinflasche in der Hand und schenkt mir ein Achterl Rotwein in ein Glas, das ein anderer junger Kerl vor mich auf den Tisch gestellt hat. „Du bist hier als Tourist?“ fragt mich der Alte und sieht mich wieder prüfend an. „Ja,“ meine ich und mache einen großen Schluck Rotwein um meine Nerven zu beruhigen. „Neapel ist anders als Wien, ist es nicht?“ „Ja, viel belebter und trotzdem sehr viel gemütlicher. Wenn man auch als Fußgänger etwas gefährlich lebt.“ „Gefährlich? In Neapel ist nichts gefährlich, du musst nur wissen, wo du dich aufhalten und wie du dich verhalten solltest. Wenn die jemand ein Glas Wein anbietet solltest du nie nein sagen, das wirkt unhöflich.“ Er grinst mich an, macht einen Zug von seiner Zigarre, bläst mir wieder den Rauch ins Gesicht: „Ja, in Wien habe ich studiert, Wirtschaft und Recht. Ist bereits lange her, fast 50 Jahre. Eine schöne Stadt, aber nichts im Vergleich zu Neapel, übrigens die am dichtesten bevölkerte Stadt Europas.“ „Ja, das habe ich in meinem Reiseführer gelesen und man merkt es auch, wenn man hier ankommt. Bereits vor dem Bahnhof tummeln sich Tausende von Menschen und dann die Märkte. Und überall Vespas, irre.“ Er sieht mich wieder an, ruft einen der Jüngeren zu sich und flüstert ihm etwas ins Ohr, dieser nickt und verschwindet in dem Haus. Kurz darauf kommt er mit einem kleinen schwarzen Büchlein in der Ahnd wieder heraus. Der Alte wendet sich wieder an mich: „Du wolltest wissen, wo der „Foot Locker“ ist, oder? Was wilslt du denn von dort haben?“ „Ich würde mir gerne ein Italien Fußball-Dress kaufen.“ „Oh, ich kenne den Besitzer recht gut, ich werde ihn anrufen, er soll es vorbeibringen.“ „Aber, das ist doch nicht nötig, ich will ja keine Umstände machen.“ „Nein, nein, das ist kein Problem, vielleicht können wir auch einen Spezialpreis aushandeln. Der Besitzer ist ein wirklich guter Freund von mir.“ Er schlägt das schwarze Büchlein auf, sucht etwas, zeigt dann das Buch einem der jüngeren, sagt ihm etwas auf italienisch und übergibt ihm das Buch, worauf dieser einige Meter weiter weg geht und von seinem Handy aus irgendwo anzurufen scheint. Er kommt wieder zurück und nickt dem Alten zu, der sich wiederum an mich wendet: „In fünfzehn Minuten wird er hier sein, mit einem Italien-Dress und einem T-Shirt, ich denke, er wird dir einen speziellen Preis machen.“ Er grinst wieder, bläst den Zigarrenrauch Richtung Himmel, nicht wie sonst in mein Gesicht. „Und bist du nur einen Tag hier in Neapel oder länger?“ „Ich bin nur heute hier. Ich wohne in der Nähe von Rom für einen Monat, wurde als Künstler hierher geschickt.“ „So, du bist Künstler. Was machst du?“ „Ich schreibe Geschichten oder versuche es zumindest.“ „Und du schreibst über Italien?“ „Naja, wenn mir eine gute Geschichte zu Italien einfällt, sicher.“ „Dann bist du in Neapel richtig. Es gibt so viele Bücher die in Neapel spielen, unglaublich viele. Hier gibt es so viele Menschen und wo es viele Menschen gibt, gibt es auch viele Geschichten. Sprichst du Italienisch?“ „Wie Sie wohl gemerkt haben, nein! Ich kann nach dem Weg fragen und etwas zu trinken bestellen, aber mehr geht dann meist auch nicht.“ Er beginnt zu lachen: „Mehr brauchst du nicht mein Junge, es gibt wenig Menschen hier, die überhaupt soviel sprechen, viele reden gar nichts und wenn, dann bestellen sie sich etwas zu trinken.“ „Ach, wirklich. Aber ist das nicht ein Vorurteil?“ „Vorurteil hin oder her, ich werde es ja wohl wissen. Die meisten Gespräche, die hier in der Stadt geschehen könntest du mitverfolgen, zumindest die in der Öffentlichkeit, Geschichten erzählt man sich unter vier Augen.“
Mein Glas war inzwischen leer geworden, doch einer der jüngeren war sofort zur Stelle und schenkte wieder ein.
Der Alte sieht mich wieder an. Er mustert mich abermals, streicht sich durch den Oberlippenbart, macht einen sehr tiefen Zug von der Zigarre, behält den Rauch lange für sich und bläst ihn mir wieder ins Gesicht: „Warst du bereits Pizza essen?“ „Nein, ich wollte in diese Pizzeria gehen, die berühmte, in der auch schon Bill Clinton gegessen hat.“ „Was? Nein, da darfst du nicht hin, viel zu teuer. Du musst in eine gehen, vor der ein Schild hängt auf dem „Vera Pizza“ steht, es gibt viele solche, jede ist gut, such dir eine aus. Sie machen echte neapolitanische Pizza, nicht irgendwelchen, den EU-Richtlinien entsprechenden Schweinsfraß. Ah, sieh nur, da kommt Giovanni, ciao Giovanni!“ Ich drehe mich um und sehe einen recht jungen Mann in der typischen Bekleidung der “Foot Locker” Sportkette die Straße heraufkommen. Der Alte ruft einen der jüngeren zu sich und sagt ihm etwas auf italienisch worauf dieser dem jungen „Foot Locker“ Mitarbeiter entgegengeht, diesem wiederum etwas sagt, der nickt und die beiden treten an den Tisch heran. Der „Foot Locker“ Mitarbeiter legt ein weißes Fußballdress der italienischen Nationalmannschaft auf den Tisch und daneben ein blaues T-Shirt auf dem „Italia“ steht, darunter ist der Stiefel abgebildet. Ich sehe die Preisschilder, je 30 Euro. Höflich bedanke ich mich und hole meine Geldbörse heraus, will dem jungen Mann die 60 Euro geben, dieser aber lehnt ab und will nur 30 für beide. „Ich habe dir doch gesagt, dass Giovanni ein Freund von mir ist und dir einen Spezialpreis machen würde“, meint der Alte. Ich bedanke mich nochmals, krame extra die umständlichste Dankesbekundung aus meinem auswendig gelernten Italienisch Wortschatz, der Verkäufer meint nur „prego“, blickt den alten und dann den einen jungen, der ihm entgegenkam an, nickt und nach einem kurzen „Ciao!“ war er auch schon wieder verschwunden.
Auch für mich ist es Zeit zu gehen, ich muss schließlich um sieben Uhr am Bahnhof sein um den Zug zurück nach Caserta noch zu erwischen. Der Alte bläst mir nochmals den rauch seiner Zigarre ins Gesicht und bietet mir an, mich zum Bahnhof zu bringen. Er geht mit mir ein Stück vor, bis wir an der Ecke stehen bleiben: „Hier ist mein Wagen, steig ein!“ Und vor mir steht ein beiger Mercedes, neues Baujahr und nicht unluxuriös, auf dessen Dach ein „Taxi“ – Schild angebracht ist. „Sie haben studiert du fahren jetzt Taxi?“ „Glaub mir, mein Junge, in Neapel ist das einer der bestbezahltesten Berufe.“ Er wirft die Zigarre zu Boden und tritt sie aus, einer der Jungen steigt auf dem Rücksitz ein und wir fahren los Richtung Bahnhof.
Vor dem Bahnhof angekommen will ich dem Alten noch fünfzehn Euro für de Fahrt geben, er lehnt dankend ab: „Wenn ich wollte, könnte ich heute noch hunderte Touristen kürzere Strecken als diese hier entlangkutschieren und würde mehr verdienen, von die bin ich wirklich nicht abhängig.“ Ich verabschiede mich und meine noch: „Wissen Sie, als ich sie zuerst gesehen habe, habe ich wirklich gedacht sie wären von der Camorra.“ Der Junge am Rücksitz beugt sich nach vor, sieht mich wieder wild an, der Alte gibt ein Handzeichen und beschwichtigt ihn, sieht mich allerdings auch kurz noch einmal prüfend an, bevor er den Kopf in den Nacken wirft und lacht. Er dreht sich zu dem Jüngeren nach hinten und sagt ihm etwas, worauf auch dieser anfängt zu lachen. Mit Tränen in den Augen sagt der Alte zu mir: „Mein Junge, die Camorra ist an Touristen nicht interessiert. Ciao!“ Ich schließe die Tür, der Alte winkt mir noch kurz zu und fährt schließlich wieder stadteinwärts.

(entstanden im Bundesländerkünstleratelier der Bundesrepuik Österreich in Paliano bei Rom)

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NaimED

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