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Nach dem Treffen

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Besser ist, du schreibst was. Willst du ewig denn ein Trottel bleiben?
Schwacher Wille, daß ein Weib dich so hat drangekriegt, daß fast
Als Tunte, als Kastrat du Dir erscheinen magst. Aber wie,
So frag ich – und ich frag auch: wer kann andres mich denn lehren? – wie
Erlegt ein Weib man, daß sie stille liegt und wimmert: komm und rühr mich
Bitte an? – Welch Elend! Schamgebeugt muß ich von dannen fliehen.
Mein Blut ists, daß sie heut trinkt, den Dolch noch tiefer in mein Herz
Mir stoßend, so wie mein Dolch eigentlich sich tief in ihr Begehren
Hätte graben müssen. Kannst du nicht denn deinen Willen ihr
Entgegenstellen, daß sie sich dir hingibt ohne Spielerei?
Bitter! Bitter ists so ausgestoßen in die Nacht zu sein!
Was Ordnung schafft und doch nur eigentlich ein Trieb ist, laß es Liebe
Heißen, oder welche Form auch immer dieses hat, vergeblich
Schrie ich, und vergeblich flehten lächelnd meine Augen. Chaos!
Ruft es immer wieder mir und meinem trägen Leben zu.

Chaos und nicht Liebe: Nennt die Dinge doch beim wahren Namen,
Denn es löst die schlimmsten aller denkbaren Gefühle aus.
Grausam marternd kreist in meinem Hirn der andre, dem das Glück
Sich holder heute zeigte als dem Finder vieler Worte. Worte!
Ach, wie wünscht ich ihrer viel zu finden, wenn des Weibes Auge
Feucht vor meinen Blicken glänzt, noch weitre feuchte Stellen im
Verborgenen verheißend. Lullend sollten sie ins Ohr ihr gleiten
Und den Weg bereiten für ein starkes, steifes Wort, das suchend,
Sich den Platz schon selbst würd schaffen, stotternd einem heißen Ziel
Entgegen. Doch verstumm ich. Lasse mein Begehren nicht erkennen.
Brennen muß, wer eine Flamme will entfachen. Wer ein Herz
Erobern will, muß warm die Glut im eignen Herzen schildern. Doch
Vermag ich das? Vermag ich Blut zu heucheln, wo nur Wasser fließt?
Mich treibt die Sehnsucht nach dem nächtlichen Gemenge, nach den Schreien,
Griffen, Lippen, Stößen, Küssen, nach den Hüften, Lenden, Brüsten.
Aber Liebe zeigen, wo nur Leere ist, vermag ich dies?

Darum laß das Klagen, mag es auch ein Lob nach unten sein,
Wie sich der letzte große Meister, Rilke, einst zum Klagen hat
Gestellt. Eröffnet es dir doch die Hoffnung, daß, wenn du so alt
Bist wie der Glückliche, der heut im Schoß, der dir verwehrt, die Nacht
Verbringen darf, auch du ein dunkles Ziel wirst finden können, das
sich dir ganz unverblümt wird öffnen, dein Begehren zu empfangen.
Schlaf nun ruhig und freue dich, daß morgen Früh die Sonne dir
Den Tag erhellt, und du nicht aus Besonnenheit ans Bett gefesselt
Bist. Du hast die Freiheit, Preise dieses Glück. Nach oben sollst du
Loben, nicht nach unten. Sieh doch nur, wie gut dus hast. Die Menschen
Treten fragend vor dich hin, was du sagst, nimmt ein jeder ernst.
So spiele nicht mit deinen Gaben, such dir nicht ein Welkes Blatt.
Leb nicht im Herbst, greif nach dem Frühling, es kann sein, daß er dir einst
Noch Liebe lehren wird, wie immer jedes Jahr aufs Neue alles
Aufersteht in seinem Bann zu Harmonie und Herrlichkeit.

Herbst 2002

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Autor:in

Harry Haller

Harry Haller

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