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Katzenrache

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Vier Tage im Oktober

Dienstag 24. Oktober 2006

Es war einer dieser, in goldenes Licht getauchten, unter stahlblauem Himmel dahindösenden Spätoktobernachmittage, die dich wehmütig und abschiedsschwer machen.
Kein Lufthauch, kein störendes Geräusch liessen die Sinne ablenken vom Duft der reifen Äpfel und dem wohlig dankbaren Erwarten der kurz bevorstehenden überreichen Ernte.
Simba lag dösend im Halbschatten der Rhododendren, vielleicht schon in der Ahnung eines nahenden Ereignisses , mit allen Fasern und wildkätzischen Fellhaaren die Kraft der Sonne und der Erde aufsaugend, wohl ohne es recht zu wissen, seine vorerst letzten glücklichen Stunden genießend.
Durch die geöffneten Fenster und Türen des großen, alten Hauses fächelte, der auch noch durch den Sommer bewahrte kühlende Hauch, über Simbas Nase und Pfoten.
H. lag, auf einem von sechs, bei einem Exklusivversand im Rabattrausch erstandenen, aus rotem Tropenholz gefertigten Deckliegestühlen, mit schmutziggrüner Baumwollauflage, das wohltuend warme rotgelbliche Leuchten der Sonne hinter seinen geschlossenen Augenlidern kontemplativ inhalierend.
C. , eilfertig, wie immer geschäftig um das Wohl aller besorgt, erschien am Kücheneingang und schrill zerbrach die Stille.
" Wäre es recht, wenn ich euch einen Kaffee anbieten dürfte ? ", hallte es doppelkonjunktivisch durch die nachmittägliche Idylle.
H. zuckte auf seiner Liege zusammen und Simba begann zu schnurren, wohl wissend, dass er, der König und Kater des Hauses, statt des avisierten Kaffees, mit Wasser verdünnte Milch, sowie einen Teller mit Katzenkeksen angeboten bekommen würde.
" Ich las gerade einen sehr interessanten Artikel im Sonntagsteil der FAZ über die Kunst des Nichtstuns "
plapperte C. aufgeräumt und fröhlich drauflos," den solltest du unbedingt mal anschauen, der wird dir bestimmt gefallen und du könntest einiges daraus lernen".
Simba blickte fragend, mit einem Anschein von Arroganz zu H., es nicht für notwendig haltend, darauf auch nur mit einem Maunz zu antworten und H. ruckte erneut auf seinem Liegestuhl.
"Danke, mein Schatz, das werde ich später gerne tun, aber zuerst nehme ich einen Kaffee", kam es von dort.

Simba erhob sich majestätisch, die nachteiligen Folgen des Fehlens der rechten Vorderpfote ausbalancierend, streckte sich, gähnte und humpelte auf seine unnachahmliche tigerkönigliche Art hoch erhobenen Hauptes zur kissenbestückten Gartenbank um diese als Zwischenplattform für einen eleganten Zweisprung auf die Mitte des Tisches zu missbrauchen. Dort ließ er sich auf seinem für ihn eigens dort installierten imaginären Thron nieder und blickte gnädig auf seine Bediensteten hernieder.
Solcherart die Bereitschaft zum huldvollen Empfang der Getränke und Speisen signalisierend, begann er zu seinem Volke zu sprechen.
Nun behaupte mal einer, Katzen, Kater und im besonderen Simba, seien nicht in der Lage ihre Anliegen verständlich und nachdrücklich zu artikulieren, wer das glaubt unterliegt einer völligen Fehleinschätzung ihrer Möglichkeiten.
Simba jedenfalls, war in der Lage, sein gewünschtes Katzenmenü täglich neu zusammen stellen zu lassen und dies auch klar verständlich und hoheitsvoll zu artikulieren.
Dies geschah auch in diesem Augenblick, denn das von C. unter dem Tisch platzierte Schälchen mit Katzenkeksen war an jenem wunderschönen Oktobernachmittag nicht en voque.
Die katzenköniglich vorgetragene Bestellung lautete," Taaat", will heißen, Simba wünschte unmissverständlich den kleinen noch verbliebenen Rest des mittäglichen Hauptmenüs, sein geliebtes Tatar.
Soll ich hier weiter ausführen, was und wie es geschah, lassen Sie mich nur berichten, dass der graugetigerte halbgesichtsbemaskte Dreibeiner nach dem Vertilgen seiner Lieblingsspeise, satt und unzufrieden seine Streicheleinheiten einforderte und sie auch von H. bekam, flankiert durch die mühselige Entfernung zweier vollgesogener Zecken, die Simbas Nacken zierten.
So viel zu den alltäglichenVorkommnissen dieses späten Oktobertages, die für sich betrachtet, kein Grund und auch kein Anlaß sein konnten diese Geschichte zu erzählen, wenn da nicht eine Kleinigkeit gewesen wäre, von der ich jetzt berichten will und die alles veränderte.
Schon seit längerer Zeit hatten wir den Eindruck, dass Simba, wenn er ungehalten war, heftiger und kratzbürstiger reagierte als wir dies bisher von ihm gewohnt waren. Seine Unmutsbekundungen beschränkten sich nun nicht mehr nur auf gelegentliches Fauchen und unvermitteltes Zubeißen als Zeichen seines Ärgers, sondern seit kurzem schien es ihm teuflische Freude zu bereiten sich plötzlich, ohne Vorwarnung auf die nackten Beine von H. zu stürzen, seine drei giftkralligen Pfoten hineinzuschlagen und mit dreieckigem Gesicht, irre flackernden Blick und weit aufgerissenem Maule sich in H's Fleisch blutig hinein zu verbeißen.
Schon mehrmals hatte H. als Folge dieser simbaschen Ausfälle den Arzt aufsuchen müssen, der einmal sogar eine lange Risswunde mit mehreren Stichen nähen musste.
Bisher war C. von solchen Attacken verschont geblieben und schrieb dies ihrer besonderen Rolle als Futterspenderin und dienstbarer Hausherrin zu.
Gelegentliche Appelle an H.,wie, "du musst dich wieder mehr um Simba kümmern, er erwartet dies", schien diese, mit einem fast nicht wahrnehmbaren höhnischen Katzengrinsen zu quittieren, dabei H. mit einem Blick musternd, der diesem fast das Blut in den Adern gefrieren ließ, während Simbas giftgrüne Augen weiter unergründlich und kalt lauernd auf ihm ruhten.
H. war ein gutaussehender, dem äußeren Anscheine nach charmanter, höflicher und herzensgebildeter Mann.
Nur Simba und ich kannten die Abgründe, die sich hinter der sympathisch scheinenden Fassade wirklich versteckten.
Wir erinnerten uns sehr wohl an heimliche Fußtritte, heimtückisches Ziehen am Schwanze, das Umknicken der Ohrmuscheln und die Gleichgültigkeit und Verantwortunglosigkeit beim Versorgen der von ihm abhängigen Wesen.

Völlig überraschend für uns alle, begann an diesem sonnig wohligen Oktobernachmittag Simba plötzlich und unvermittelt mit leiser und eintöniger Stimme menschliche Worte zu sprechen.

„Memento mori „ ( Denke daran, dass du sterben musst )

C’s Kaffetasse blieb mit einem Ruck in der Luft stehen, vor ihrem geöffneten Mund erstarrte die Aufwärtsbewegung ihrer linken Hand, die die Tasse hielt und ihr Kinn klappte nach unten.
H. ruckte erneut auf seiner Tropenholzliege und gab ein unterdrücktes gurgelndes Quäkgeräusch von sich.

„Mors certa, hora incerta.“ (Der Tod ist gewiss, die Stunde noch offen), kam es, für uns nur mit Mühe verständlich, wie mit einer Computerstimme gesprochen aus Simbas Munde, während er mit humpelnden Schritten zu dem von der Liege hochgeschossenen H. stelzte.
Einem Wolfsknurren nicht unähnlich, fauchte er H.drohend an.
„Nemo enim potest personam diu ferre“ (Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen)

Über H’s Züge flackerte ganz kurz die dumpfe Ahnung einer bevorstehenden , schrecklichen Enthüllung, die unbedingt verhindert werden musste, aber er fasste sich augenblicklich.

„Was um Gottes Willen geht hier vor ?“ keuchte C.

„Habe ich Halluzinationen, oder ist Simba verrückt geworden ? Ich wußte dass es mit deinem Kater noch ein schlimmes Ende nehmen würde“, zischte H.

Blitzschnell schossen ihm alle Situationen durch den Kopf, bei denen er, möglicherweise allzu leichtfertig und unvorsichtig in Gegenwart des alten Viehs, die Vorbereitungen, um C. zu beseitigen betrieben und sein Vorhaben dadurch verraten haben könnte.
Und jetzt hatte der immer lautlos im Hause herumschleichende, dreibeinige Kater plötzlich Kenntnis von H’s, tückischem Plan, C. rücksichtslos beseitigen zu wollen.
Simba wusste, dass H. plante die Dusche mit der emaillierten Duschwanne im Dachgeschoß kurz unter Strom zu setzen und C. auf diese Weise am frühen Morgen des sechsundzwanzigsten Oktober umzubringen.
H. wusste nun, dass er schnellstens handeln und Simba ein für allemal zum Schweigen bringen musste.
Nicht auszudenken, was passieren würde wenn das verrückte Vieh tatsächlich auspackte.
Hier konnte er nur noch eines tun, Simba musste morgen in aller Frühe in die nahegelegene Tierklinik gebracht und dort ohne langes Hin und Her und ohne Wenn und Aber von Simbas Erzfeind , dem Leiter der Klinik, aus Altersgründen eingeschläfert werden. Euthanasierung nannte man das wohl.

Dass sich jedoch die Ereignisse dramatisch überschlagen würden und es dazu gar nicht mehr kommen würde, konnte zu diesem Zeitpunkt außer mir niemand auch nur entfernt ahnen.

Vor wenigen Tagen war ihre Entscheidung gefallen, es konnte so nicht mehr weitergehen, H musste aus dem Weg geschafft werden. Alle Vorbereitungen waren getroffen.
Ich wusste, dass C. plante die Dusche mit der emaillierten Duschwanne im Dachgeschoß kurz unter Strom zu setzen und H. auf diese Weise am frühen Morgen des sechsundzwanzigsten Oktober umzubringen.
C. wusste nun, dass sie schnellstens handeln und Simba zum Schweigen bringen musste..


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Amonasro

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