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Spielerglück

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Wie aus heiterem Himmel erfuhr ich von meinem Glück, ohne erst die von mir angekreuzten Zahlen auf dem Lottoschein nachkontrolliert zu haben, mitunter weil ich niemals an selbiges je hätte eine Senfkorngrösse glauben können. Eine E-Mail kündigte meinen Gewinn an, wie solches vielleicht alle drei oder vier Monate geschieht, ohne genauere Angaben, nur ein schlichter Hinweis auf ein Spielerglück, egal ob gross oder klein, bislang immer nur klein. Einen Dreier vielleicht oder zwei Zahlen und einen Stern und dergleichen. Nie über 20 Franken, seit Jahren keine Fünfzigernote mehr.
Nein, der Aufwand an Zeit und Geld lohnte sich niemals, zumindest bislang nicht. Gäbe es die Möglichkeit nicht, online oder auf elektronischem Wege von zu Hause aus mitzuspielen, würde ich mich allerhöchst selten extra an eine Annahmestelle in einem unserer kleinen Nachbardörfer bemüht haben. Auch würde mich der Einsatz gereut, würde kaum Bares aus dem wüsten Geldbeutel hervorgezogen haben, nur um an einem schier chancenlosen Glückspiel, damit meinem Glück, ein wenig Vorschub zu leisten. So aber, allein zu Hause und in meinem unaufgeräumten Büro, sah die Sache ein wenig anders aus. Büro! Büro tönt nach Arbeitsplatz, weshalb ich im Grunde meinen Arbeitsraum mit Schreibtisch und PC längst nicht mehr als Büro bezeichnen dürfte. Geräte und Utensilien allein sind mir noch verblieben, Arbeit und Auftrag aber schwanden schon vor Jahren, vermutlich für immer. Ebenso schwanden Lebensmut, -freude und -sinn. Dennoch hock ich alle Tage am Schreibtisch, schaue neugierig auf meinen Flachbildschirm, der mir zuweilen wie die Eigernordwand vorkommt, als wäre ich ein Kletterer, ein Berggänger und Bewunderer derselben, wohl wissend freilich, zu alt und zu müde zum Besteigen dieser – je nachdem – Glücks- oder Unglückswand zu sein. Durch meine kleine, bläulich schimmernde Privatwand allerdings sehe ich in die Welt, wenigstens stück- oder ansatzweise. Erfahre so vom seltenen Glück anderer, fühlte mich genötigt, hierin mitzutun, so wenigstens einer allerkleinsten Chance Möglichkeit offen zu halten.
Dann eben besagte Ankündigung per Mail: Nicht dass ich mich sofort ins Spiel eingeloggt hatte, wusste ich doch nur allzu gut um die immergleiche Enttäuschung hinterher, wenn es hiess, ich sei um 6 müde Fränkli reicher geworden. Nein, lieber gar keinen Gewinn als einen so kleinen mit so grosser, wichtiger Ankündigung. Schade ums Adrenalin. Schade um den Strom. Also wartete ich zwei Tage, wartete die langweiligste Minute ab, bis ich mich endlich dazu hergab, auf den entsprechenden Link in meiner Mail zu klicken, mich dann einloggte mit Benutzernamen und Passwort, den Kopf müde in die linke Hand gelegt, gähnend und mit vor Müdigkeit tränenden Augen.
Hauptgewinn, erster Rang! Dann der Betrag! Diesmal war’s nicht schade ums Adrenalin. Herzklopfen, Herzrasen, Schweissausbruch, tropfende Stirn. Heiss wurde es im Gesicht. Erstarrung. Starrer Blick, ungläubig schauend, zusammengekniffene Augen. Bohrendes Lesen. Zehnmal, hundertmal. Unglaube.
Meine Güte! Musste raus, musste zur Garage, musste rauchen, musste hin und her laufen. Ein paar Züge nur, dann die Zigarette ausdrücken. Sofort zurück und hinauf ins Büro. Dasselbe Spiel nochmals. Einloggen usw. Jawohl: gewonnen – eindeutig! Ohne Zweifel. Zweifelsohne. Verrückt!
Schade nur, dass dies lediglich ein Wunschtraum ist. Werde an dieser Stelle meinen Traum abbrechen müssen, denn jetzt geht’s um den Einkauf fürs Mittagessen. Zuvor noch gehe ich zum Bankomaten, werde die letzte Fünfzigernote rauslassen, werde dieselbe in Lebensmittel umwandeln in der Hoffnung, sie reichen bis Donnerstag. Vier Tage also, denn heut ist Montag …

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Autor:in

Joschika

Joschika

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