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Ich widerstand dem Moment.

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Es gibt so Tage, an denen begegnen einem Menschen, die ein Weile im Gedächtnis haften. Nein, haften ist nicht der richtige Ausdruck. Sie bleiben, was auch immer man tut im Vordergrund der Gedanken.
Ich spreche von einem Mädchen. So ein Mädchen, das man sieht, einfach so im Vorbeigehen. Einen kurzen Augenblick, wirklich nur eine Sekunde und schon ist man verfallen. Hat die Kontrolle über die eigenen Augen verloren. Sie wandern wie wild hin und her und suchen das Gesicht, dass das Herz wieder zu schlagen gebracht hat. Sie wollen noch einmal die Lippen erblicken, die ein leises Flüstern über die Haut geschickt haben. Dieses Lächeln, dieser ganz besondere Glanz in den fremden, braunen Augen.
Dann sieht man sie wieder und wünscht sich die Zeit anhalten zu können. Ich gehe verloren im Dasein und Hitze fährt in Welle durch meinen Körper. Das leise rauschen der Sehnsucht in den Ohren, die überquellen vom Lärm des Lebens. Ich möchte mich setzen und der Musik lauschen, die diesen Moment begleitet.

Ich suche immerzu nach ihr und habe sie trotzdem noch nie gesehen. Warum bin nur ich es, der sie anstarrt, so dass ich Angst habe sie könnte es bemerken. Sehen denn die anderen nicht diese Anmut, die meine Augen so unweigerlich anzieht, wie ein Magnet den eisernen Nagel. Hilflos fast schwenkt mein Blick zur Seite, sucht einen Punkt an dem er sich festhalten kann, um in einem Moment der Ruhe der Erscheinung die Gelegenheit zu geben sich aufzulösen. Zur Realität zu werden und den Glanz zu verschlucken.
Sie tut es nicht und so sicher, wie die Sonne hinter den dichten grauen Wolken jeden Abend versinkt und es dunkel wird, so sicher schleift mein Blick zurück zu ihr. Wird gezogen von einer Kraft, die ich nicht beeinflussen kann, nicht will.
Ich sehe sie wieder an, diesmal etwas länger. Mein Blick wird mutiger und ich entdecke eine lose Strähne brauner Haare, die ungestüm in das blasse Gesicht mit den lebendigen Augen fällt. Augen, die mich ansehen.
Sie sehen mich an. Zeit verrinnt und ich kann nicht. Kann nicht anders als bei ihr zu bleiben. Ich schenke ihr alles was ich habe, binde mich an sie, liebe sie, sie liebt mich, sie senkt den Blick. Ich erröte und sehe zu Boden. War das zu lange? Bin ich nur ein unhöflicher, aufdringlicher Starrer, der die ungewöhnliche Schönheit zu lange für sich in Anspruch genommen hat? Sie wird mich nie wieder ansehen, mich keines Blickes würdigen, denn ich habe gesündigt. Ich habe zu lange geschaut und dafür werde ich bestraft.
Nein, das stimmt nicht. Es ist alles so dumm, was ich denke. Sie sieht wieder her und mein Herz setzt aus.
Ein Schlag, zwei, es setzt wieder ein, aber alle Farbe muss aus meinem Gesicht, ob des fehlenden Blutes gewichen sein. Oder ist das Gegenteil der Fall und ich bin Rot wie ein Ballon, leuchte aus der Masse der Menschen hervor wie das Bremslicht eines Autos auf einer dunklen, verlassenen Straße.
Sie ist so weit weg von mir und doch so nahe. Ich könnte sie berühren, wenn ich wollte.

Sie hat mich längst berührt. Auf eine Stelle, die Finger nicht finden können, die von Zeit und Raum unverändert über die Ewigkeit existiert, hat sie ihren Blick gelegt und ich kann den Druck ihrer Augen in meinem Inneren spüren. Er ist schwer und macht mich so unendlich leicht.
Wie wohl ihre Haare riechen? Wie mag ihre Stimme klingen? Ist es ein weiterer Baustein in der Perfektion ihres Wesens oder wird ein Schritt in ihre Richtung die Magie vernichten, die so unbändig im Raum ihr Unwesen treibt?
In diesem Moment bin ich dem Leben so nahe. In dieser Sekunde ist das Leben in mir und in ihr, haben wir nichts zu verlieren. Oh, wäre ich doch schon ihr Geliebter und könnte ich sie im Arm halten, bis das die Nacht sich über unsere Welt senkt. Lass die Zeit nicht vergehen. Lieber Gott, bitte lass uns hier stehen bleiben in dieser blinden Vertrautheit des Fremden mit dem Fremden.
Meine Fantasie überschlägt sich. Was ist, wenn ich sie anspreche, wenn ich nach ihrem Namen frage, wird sie mir antworten? Kann es eine Gemeinsamkeit zwischen Perfektion und Wahnsinn geben?

Warum fühle ich mich so leer vor Erfüllung? Ich kann nicht mehr. Sie geht. Ich bleibe. Kein Wort, kein Duft für die Sinne bleibt in meinem Hirn. Ich habe dem Moment entsagt, dem Willen widerstanden und die Lust erschlagen. Sie geht.

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Autor:in

Nathaniel

Nathaniel

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