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Die offenen Karten des Falschspielers

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Vicas und Gergős letzte Geld gelang auf den Kartentisch. Sie dachten es lieber zu verspielen, als es für Unterkunft auszugeben. So werden sie, fals sie gewinnen, noch auch für den Zug Geld haben, damit sie zu Vicas Bruder nach Hamburg fahren können. Dort könnten sie einen Kiosk aufmachen, wenn Gergős Eltern ihnen leihen würden. Zunächst sind sie auf der Strasse mit einem Hundertmarkschein, ausser ihrer Liebe, haben sie nichts. Vicas Eltern sind nicht so reich, dass sie anfangs bei ihnen hätten leben können, Vica ist Gergő zuliebe von Zuhause weg.
Gergő hat nämlich ausgedacht, dass sie in Deutschland ihr Glück versuchen könnten. Von Vicas Bruder haben sie erfahren, wie man in Deutschland bleiben kann. Damals, in den Achtzigern hätten sie politischen Asyl beantragt, wie die meisten Emigranten, und sie hätten etwas hergelogen. Freilich geht das heutzutage aber nicht mehr, seit dem zwischen dem Osten und dem Westen “der Frieden ausgebrochen ist”, und der eiserne Vorhang gefallen ist. Bis Ungarn in die EU eintritt braucht man Arbeitsgenehmigung für den Daueraufenthalt. Gergő hat Irgendwo gehört, fals sie studieren, können sie bleiben, sogar arbeiten können sie daneben. Der Kiosk, na ja. Gergős Vater ist deutschstämmig, auch auf dieser Lienie könnte man voran, Hauptsache, dass sie probieren. Ihr erster Auffenthalt war bei Gergős Onkel in Heilbronn, sie Wohnten eine Woche dort. Ihr Geld haben sie dabei fast ganz ausgegeben...
Sie hatten vor Vicas Freundin in Köln aufzusuchen, die sich vielleicht mit den Voraussetzungen einer Emigration besser auskennt.
Vicas Freundin haben sie nirgends gefunden, vielleicht ist sie weggezogen, einzig wäre noch Vicas Bruder da, wo sie hin könnten. Jetzt spürten sie, was für ein Leichtsinn es gewesen ist, so unvorbereitet in die Welt auszugehen. Sie haben also, zu viel ausgegeben, zum Beispiel für die Verlobungsringe... und jetzt sitzen sie in Köln in einem türkischen Café, wo allerlei Nation sich betrinkt und Karten spielt. Gergő studierte das Spiel, aber kannte es nicht. Vica, die sich mit dem Deutschen etwas besser auskannte, sagte: „Sie spielen Doppelkopf“. Sie ist mit Gergő zu einem anderen Tisch gegangen, wo man Skat spielte. Als die Runde zu Ende war, hat Vica gefragt, ob sie mitspielen dürften, und ob die Spieler die Regel der „Pik Dame“ kannten. Die im Kreise sitzenden antworteten, dass sie von diesem Spiel gehört hätten, man könnte es ausprobieren. Beide nahmen Platz. Sie haben die Regel geklärt: Auf Farbe muss Farbe gelegt werden und die höchste Zahl kassiert. Die Reihenfolge: die Zahlen, dann Bube, Dame, König und As. Eine andere Farbe kann man nur dann auslegen, wenn von der geforderten es nicht mehr gibt. Alle Karten werden in die Hände verteilt, man braucht nicht zu ziehen. Jeder Hieb hat den addierten Wert der Karten, die Herzen sind minus. Die Pik Dame bringt 26 Miesen... usw. Nachdem Gergő einmal, zweimal gewonnen hat, setzte sich ein komisch angezogener Kerl zu ihnen, den alle Joschi nannten. Dieser Kerl hat ununterbrochen gewonnen. Vica fing an Gergő anzufeuern, die Zeit sei reif, sie könnten ihr ganzes Geld ins Spiel bringen und so hätten sie aus hundert Mark dreihundert, genug für die Reise. Gergő sagte ist gut dazu, wenn aber Vica aussteigt, so könnte noch jemand mitspielen, um vierhundert. Die kleine Gruppe hat Augen gemacht, als Vica erklärt hat, dass sie darum um so einen hohen Einsatz spielen wollten, denn dies ihre ganze Hoffnung ist.
Joschi und die anderen zwei haben ein Gesicht gemacht. Dann sagten sie aber doch zu, unter der Voraussetzung, dass nicht nur ein Spiel, sondern mehrere Runden gemacht werden, bis jemand tausend Punkte hat.
Joschi sagte, dass es gross gerupft wird. Joschi galt als grosser Kartenspieler, mehrere hielten ihn aber für einen Schwindler. Dass die Jugendlichen kein Geld hatten, interessierte niemanden, wenn sie spielen wollen, nur zu. Ein Grieche, ein Russe, Joschi und Gergő fingen an zu spielen.
Joschi hat schon in der ersten Runde komisch gespielt, niemand hat ihn verstanden. Er hat alle Herzen an sich gerissen, trotzdem kam er in Plus raus. In der nächsten runde hat er genauso alle Herzen mitgenommen, auch die Pik Dame sogar, und niemand hat gewonnen oder verloren, alle bekammen null raus. Joschi hat das Spiel so gelenkt, dass derjenige die Pik Dame zum Schluss bekommen hat, den er für sich ausgepickt hat. Einmal hat er zum Beispiel den Pik König ausgelegt. Alle haben gedacht, er spässt nur, denn die Dame ist kleiner und er wird sie mitnehmen. Minus sechsundzwanzig Punkte.
Joschi hat Vica „Capu“ bestellt, Gergő eine Cola, und beobachtete den grischischen Mitspieler, der gezwungener Massen den As werfen musste, denn er hatte keinen anderen Pik mehr.
Scheinbar hat Joschi ausgerechnet wie viele Pik raus waren, er wusste, dass Gergő keinen Pik mehr hat, da er vorher auf Pik, Karo geantwortet hat. So ging es den ganzen Abend.
Auf einmal hat Joschi alle seine Karten offen auf den Tisch gelegt, und sagte:

- Alle nächsten Schläge sind mir!
- Gekonnt Joschi, gekonnt. – sagte der Griche und hat seine Blätter weggeworfen, wie alle.
- Wo hast Du so rechnen gelernt Joschi? – fragte der Russe.
- Auch in Jugoslawien gibt es Schulen. – sagte Joschi.

Zum Schluss hatte Gergő 430 Punkte, Joschi endete mit 1021, und die Anderen gelangen in Minus. Der Griche und der Russe haben je einen Hunderter Joschi gegeben. Vica hat ihren letzten Hunderter aus ihrer Brieftasche gezogen. Sie hat in den Mund gebissen, und fasste Gergő an der Hand:

- Na, gehen wir!

Sie haben ihre „Einladungen“ leer getrunken und kuschelten sich in ihre Mäntel. Sie nahmen ihre Rucksäcke und blickten sich unsicher an. Sie sind vor den Café auf die Strasse gegangen und sie beobachteten den regen Menschenverkehr. Trotz des spätseptemberischen Abends waren die Bars und Cafés des „Ringes“ Pott voll. Hier fährt die Strassenbahn unterirdisch, so dass der Bürgersteig breit ist. Viele haben auch draussen gesessen. Vica und Gergő glotzten in die Lichter der Nacht und haben sich gefragt, wo, in welcher Stadt wohl die ungarische Botschaft ist.

- Nemmt, was ich euch gewonnen habe! – er legte ihnen vierhundert Mark in die Hand.
- Ich bin aus dem Banat. Ein Ungar... Hundert ist geschenkt. – sagte Joschi auf ungarisch, und er verschwand.


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Peter Simon

Peter Simon

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