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Das Elixier

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Vor mir liegt ein leerer Zettel. Meine Augen sind rot und mein Blick sehr müde. Draußen ist es dunkel und es stürmt als würde es gar kein Ende mehr nehmen wollen. Doch ich sitze hier und es ist schon spät, das Ende des Tages naht. Aber immer noch harre ich, bis weit in die Nacht, quäle mich, etwas aufs Papier zu bringen, das Blatt zu füllen, mit Zeilen und Sätzen, die wunderbar aneinandergereiht Vergnügen bereiten, wie durch Magie.
Die Zauberei der Worte.
Ich bin der Alchemyst der Buchstaben, bin auf der Suche nach einem neuen Rezept. Ein Tränklein soll es ergeben, dass meine Liebe, entfesselt, in sich trägt.
Die Zutaten werden durcheinandergemischt, lieber etwas zuviel als zuwenig, die Würze macht’s.
Alles ziehe ich zu rate, mag es auch noch so kulinarisch sein, gebe mich nur meinen Gefühlen hin. Instinktiv, fast wie in Trance finden meine Hände ihr Ziel. Die Augen habe ich vorsichtshalber verbunden, dass sich mich in meiner Meditation nicht behindern, denn der äußere Schein trügt. Visuell erscheint alles anders als es wirklich ist.
Allein das Innere vermag mir zu sagen wie es weiter geht, nur das Herz soll mich leiten.
Und so greife ich sicher immer die Richtige Entscheidung.
Mein Töpfchen brodelt und zischt, als ich die Temperatur erhöhe bei jeder Zutat immer mehr.
Größer und größer wird der Druck, der sich mächtig in ihm ballt.
Jeder Inhaltsstoff hat eine Wirkung für sich selbst, die mit den anderen vermischt Gefahr in sich birgt. Die einzelnen Kräfte verbinden sich, chemisch nicht erklärbar, zu einem Großen und Ganzen. Auf magische Weise ergibt sich etwas unergründliches und geheimnisvolles, wie nirgends auf der Welt entstanden ist.
Ich bin mir dessen nicht bewusst, da mich ein mystischer Zustand an mich bindet und meine Seele vom Hier und Jetzt entfindet, den Körper meinerstatts lenkt.
Gefühle sind es, die mich in ihrer Gewalt haben.
Hass, Wut, eiserne Angst, kalter Widerwille und Ruhlosigkeit.
Verzweiflung und Unfrieden bewegen mich, mein Teufelswerk auszuführen, unfähig selbst zu entscheiden und doch die innerste Gewalt meiner Seele herzustellen.
Mehrere Stunden kochte und rührte und stampfte und werkte ich in meiner Alchemystube herum, bis ich letztendlich mit drei Fläschchen unter dem Arme in dein Weinhaus schlich, welches sich direkt daneben befand.
In dessen alten und düsteren Gemäuern wurde ich schon von dem Kellermeister empfangen, der mich ansprach und mit seinen Worten aus meiner Abwesenheit holte.
„Das Übliche?“, sprach er und reichte mir eine alte, sehr verstaubte Flasche, die ich gierig ergriff. Die fällige Summe überreichte ich ihm mit offenkundiger Hast. Ich gab ihm sogar noch etwas dazu und verließ eilig diesen dunklen Ort.
Weder das Köpfschütteln, dass mir der verwirrte alte Mann nachwarf, ich hatte noch nie Trinkgeld gegeben, bemerkte ich, noch konnte ich die Fässer und Flaschen mit ihrem edlen Inhalt bewundern, als ich mit schnellen Schritten von dannen ging.
Ich hatte eben keine Zeit; musste ich doch die schrecklichen Ereignisse, die sich in meinem Labor ereignet hatten und das Zittern das hieraus resultierte, mit saurem Weine herunterspülen und mich dann zur Ruhe legen.
Denn obwohl ich sehr aufgewühlt war, kam eine erstaunliche Müdigkeit in mir auf, die ich durch den herrischen Wein verstärken und so das Gemüt beruhigen wollte.
Verstört und zügellos trinkend eilte ich durch die inzwischen dunklen Gassen, wobei sich die Flasche immer wieder von selbst zu füllen schien.
Das Kopfsteinpflaster ließ jeden meiner Schritte unendlicher laut werden.
Mehrmals wäre ich beinahe durch Unebenheiten gestolpert und der wertvolle Schatz, ich hatte beide Tränkchen unter meinem Mantel verstaut, lief immer wieder der Gefahr aus, zerstört zu werden.
So hastete ich von dunklen Gedanken gequält durch die Nacht, dem rettenden Zuhause entgegen.
Passanten, die ich auf meinem Wege recht selten traf, nahm ich gar nicht war, oder ich eilte an ihnen vorbei, ihr Erstaunen nicht beachtend.
Ich war schon lange unterwegs, als sich mein Trinkvorrat erschöpft hatte und ich mich in einer der schwärzesten Gassen der alten Stadt wiederfand.
Finster ragten die Häuserwände links und recht von mir auf. Sie drohten mich zu verschlingen und ich bekam panische Angst, denn ich war allein.
Also erhöhte ich das Tempo, um schnellstmöglich aus diesen engen Winkeln zu entfliehen. Doch es erschien unmöglich. Immer neue Schluchten und Abgründe taten sich vor mir, in Form von Mauern und Wänden, auf.
Hatte ich eine dieser Schluchten durchquert, so zwang mich die Nächste, ihr Gefangener zu sein, um nicht in den Abgrund zu stürzen.
So verwirrt und in Todesgefahr ereignete sich etwas, was meine auswegslose Situation noch erheblich verschärfte: Ich wurde verfolgt.
Schwere harte Schritte schalten hinter mir, mal ferner, mal näher.
Meinen Mantel ins Gesicht ziehend flüchtete ich in eine Felsspalte rechts vor mir zu.
Gerade noch rechtzeitig, bevor mein Verfolger in die Gasse bog, ich hörte es an seinem Stampfen, konnte ich mich verstecken.
Plötzlich jedoch, kaum eine Sekunde später, schien es zu verstummen.
Es wurde ganz still um mich. Nur mein immer noch hastiges Atmen, ich hatte eine angestrengte Flucht hinter mir, und mein pochendes Herz störten die Ruhe.
Aber auch diese wurden langsam immer leiser und ich horchte in die bedrohliche Dunkelheit hinein. Keinen Laut konnte ich erhaschen.
War es vorbei?
Noch größer wurde meine Angst, denn verschwunden war er nicht, sagte mir mein Gefühl und veranlasste mich dazu, noch enger an die kalte Mauer zu rücken, die mich auf einmal zu verschlingen schien. Sie sog mich geradezu auf, in das Dunkelst hinein und ich wollte es.
Die Furcht vor dem Lichtlosen war weitaus geringer, als vor meinem Verfolger.
Auf diese Art und Weise verschwand ich meinen Schatz an mich drückend in die Welt ohne Licht.
Kein Strahl der Sonne, noch das Licht des Feuers und auch nicht das kleinste Funkeln ließ etwas Freude hinein, doch ich fühlte mich sicher, gerade deswegen und löschte auch noch das Blitzen in meinen Augen vorsorglich aus, so dass man mich auch ja nicht entdeckte.
Lange Zeit befand ich mich in dieser komischen Umgebung, die mir riesig erschien, denn es waren keine Grenzen zu entdecken.
Doch mein Schatz war verwahrt, meine wertvollen Tränke, mit ihrem für mich so wichtigen Inhalt, in Sicherheit gebracht.
Ich war in eine kalte, dunkele Welt geflüchtet und blieb hier wohl Jahre lang, ohne den Willen zu haben, ihr zu entfliehen, denn wie gesagt, ich hatte weniger Angst vor ihr als vor dem Ungewissen, dass mich dort Draußen erwartete.
Gefühle und Bedürfnisse und innere Regungen wurden in diesem Niemandsland völlig unterdrückt, so hatte ich also auch keinen Hunger oder Durst. Auch die Zeit verstrich, ohne dass ich es merkte.
Ich hätte mich hier wohl noch ewig versteckt, wären nicht plötzlich hinter mir drohend Schritte ertönt, wie ich sie lange nicht mehr gehört hatte.
Es waren diese fürchterlichen, huschenden.
Nur sie waren noch ungeduldiger als zuvor.
Meinem Verfolger war es leid, mich ständig zu suchen, dass verrieten mir seine Schritte, die zu einem Rennen wurden.
Ein Schrei entsprang meiner Kehle und ich wollte mich in Bewegung setzen, doch ich war wie versteinert, eine aus Ton gebrannt Figur, unfähig, auch nur mit den Augen zu rollen.
Das sah der Bösewicht und kam nun ganz langsam gelaufen, immer näher.
Die schwarze Welt hatte alle ihre Eigenschaften verloren.
Alle Gefühle stiegen wieder in mir auf.
Angst und Panik führten wieder ihr konfuses Regime, dass mich veranlasste, wie eine Fayence starr zu stehen.
Nun war er da, hinter mir und berührte meine Schulter.
Hätte ich meine Muskeln unter Kontrolle gehabt, ich wäre zusammengezuckt, doch ich konnte mich nicht einmal wehren, als er mich zu Boden stieß und ich zertrümmerte.
In Tausende von Scherbe zersprang mein Körper bis zum Halse.
Der Kopf war robust und äußerst sorgfältig gebrannt, es brauchte mehrere Schläge des Barbaren, bis er sich endgültig ergab.
Nun war es vorüber.
Niemand würde mich wieder reparieren können.
Alles wurde so hell um mich herum, dass ich wusste, ich war dem Ende nahe, weit weg von der Anderswelt.

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