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Aufgewacht im Park

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Aufgewacht im Park
Ich gehe über eine belebte Straße. Ich überschritt sie schon allzu oft ohne mir bewusst zu sein, dass ich sich auf jedem Quadratmeter alle Fehler der menschlichen Natur um mich herum begleiten, mir entgegenkommen oder meinen Weg kreuzen. Ich sehe nach links. Eine alte Frau schaut mich mit einem verachtenden Blick von oben bis unten an. Ihre angewiderter Ausdruck gilt meiner zerrissenen Hose und meinem dreckigen T-shirt sowie meinen kaputten Stiefeln, denn in dieser für mich unheimlich einsamen Welt gelten Blicke nur meinem Aussehen. Sie dreht sich wieder zu ihrem Gesprächspartner, wahrscheinlich ihr Mann. Meine Schritte verlangsamen sich vor Verwirrung, wobei ich allerdings nicht vorhabe, mir meine Situation anmerken zu lassen. Meine Neugierde lässt meine Blicke über das Gesicht der Frau und ich bin nicht überrascht als mir die kaltherzigen Augen und der leicht spöttische Zug um ihren Mund herum auffällt.
Ich reiße mich zusammen und wende meinen Blick von ihr ab.
In 50 m Entfernung grüßt mich schon freundlich der dichte grüne Park mit seinem kühlen wohltuenden Schatten. „ Ja Schatten!“ höre ich meinen Körper froh jauchzen. Die Qual war an diesem Tag in dieser Hitze eine zu lange Zeit mein Begleiter, als dass man mir das Recht auf Schatten verwehren dürfte.

Es war heut morgen nicht leicht und äußerst schweißtreibend das langersehnte Frühstück durch erbetteltes Geld genießen zu können, denn es war nicht viel Betrieb an diesem Dienstag auf dem Bahnhof. Wäre ich nicht so sehr auf den kühlen Park bedacht, hätte ich sicherlich aus reiner Provokation die Frau von eben nach etwas Kleingeld gefragt. Ich lache innerlich höhnisch bei diesem Gedanken. Wer weiß wie entsetzt sie dann erst gewesen wäre. Das kichern in meinem Kopf lässt sich nicht mehr unterdrücken und entschlüpft mir in einem Moment als ich an einer kleinen Gruppe Jugendlicher vorbeigehe. Auch hier wieder diese Blicke. In dieser eindeutig proletenhaften Runde fallen jetzt sicherlich Schlagworte wie „Scheiß Punk“ oder „Assi“. Doch bin ich erstaunt wie abgestumpft meine früher ungeheuer empfindliche Seele gegen solche Angriffe an meiner Person und gegen die Herabwürdigungen meiner Individualität mit der zeit geworden ist.

Ich stehe nun im Park und frage mich wohin. Ich setze mich auf eine Bank. Die Hitze in meinem Kopf beginnt sich in dieser herrlichen Kühle zu neutralisieren und ich beginne nachzudenken. Oft schon saß ich hier im Park und dachte über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach und auch heute wie schon so oft driften meine Gedanken zuerst in Richtung Vergangenheit, denn in der schrecklichen Gegenwart lebe ich und sie ist meiner Meinung an Bedeutung nicht groß genug, als dass sie es wert wäre sich darüber Gedanken zu machen. Über die Zukunft grüble ich eh nie nach, denn es kommt so wie es kommt.

Nun plagen mich wieder diese penetranten Fragen, auf die mir nie jemand eine Antwort geben kann. Warum ging damals alles schief? Warum durfte ich nicht mehr ihr Kind sein? Warum liebten sie mich nicht mehr? Warum entfernten sich all meine Freunde sich von mir? War ich nichts mehr wert? Weil ich anders aussah? Weil ich am Bahnhof schlief? Das alles macht mich doch nicht automatisch zu einem schlechten Menschen, oder? Ich bin doch immer das gleiche kleine hilflose Kind geblieben, das meine Seele heut noch ist auch wenn man es mir nicht ansieht. Ich habe doch immer noch die selben strubbeligen Haare und die selben größen bittenden braunen Augen. Doch warum gingen sie einfach?

Langsam schleicht sie die Melancholie in meine Sinne und beginnen sie nach allen Regeln der Kunst zu vernebeln. Ein dicker Kloß schiebt sich in meinen Hals und verankert sich dort, lässt Wurzeln, die Wurzeln des Verzweifelns, durch meinen Körper wuchern. Wie ein großer unaufhaltsamer Schimmelpilz verbreitet es sich. Langsam spüre ich wie mir eine Träne über die Wange läuft, dann noch eine und schon weine ich, dass es mit einer Flut zu vergleichen wäre. Es sind stumme Tränen, die sich schon lange nicht rausgewagt haben. Doch nun ganz ungezwungen und an einem so schönen Tag habe ich endlich die Mauer zu meiner Trauer, verborgen in meinem Herzen, eingerissen. Tränen für meine Eltern. Tränen für meine Freunde, die mich nicht mehr kennen. Tränen für meine Jugend, die mir zerrinnt. Tränen für all die Menschen, denen es genauso geht wie mir. Tränen über Tränen. Dabei wird mir bewusst: warum suche ich die Fehler der Vergangenheit bei den anderen? Ich selbst bin es, die sie begangen hat ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Ich bin es, die die Samen der Gleichgültigkeit und der Zwistigkeit um mich herum verstreut hat. Nun erscheint mir alles ganz klar. Wie aus einem Traum erwacht sitze ich nun hier und sehe alle Fehler der Vergangenheit.

Noch ist nichts zu spät, Freunde kommt rettet mich aus meinem Trotz. Wacht auf und kommt her! Ich will nicht länger in meiner eigenen Welt völlig allein leben. Ich möchte mir mit euch eine Welt teilen, eine Welt der Freundschaft und des Vertrauens. Ich brauche euch und alles was dazugehört.
Ich bin aufgewacht!


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das_Zottel

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