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Auf Geschäftsreise

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Ein verschlafenes Nest in New Mexico, irgendwann um die Mitte des letzten Jahrhunderts.

Sie hatten sich schon öfter gestritten – eigentlich sogar so häufig, dass ein Streit zwischen den beiden allseits bekannt war und längst an Besonderheit verloren hatte. Diese Mal jedoch schien die Gewalt der Auseinandersetzung das übliche Maß zu überschreiten. McConnell war Rinderzüchter, der wohlhabendste Mann in der Umgebung. Donovan war Schafzüchter und viele hielten ihn schlicht für einen Spinner.
Der Grund für ihre Spannungen war nicht immer derselbe, aber oft sehr ähnlich. McConnell meinte, die Schafe fräßen seinen rindern das Gras weg. Donovans „Wollschweine“ würden ihn hunderte Dollars kosten.
Donovan beschuldigte McConnell, seine Herden über sein Land zu treiben, das Wasser zu vergiften und seine Schafe gezielt zu erlegen.
Richtige Beweise für die Vergehen des anderen hatte keiner und der Sheriff beließ es bei einem halbherzigen Schlichtungsversuch:
„Ihr seid erwachsene Männer, also löst das Problem auch wie solche.“
Nach derartigen Machtworten verschwand er in sein Büro oder ging zu Willys Diner, um Karten zu spielen.
Als die erste Flasche zerbrach, achteten nur die wenigsten Gäste in Willys Diner darauf. Als der erst Stuhl quer durch den Raum flog, machten sich die Feiglinge aus dem Staub, der Rest tat so, als sei gar nichts geschehen.
„Jungs“, sagte der Sheriff ohne sich von seinem Blatt abzuwenden. Er sah die Chance, die dreißig Dollar zurück zu gewinnen, die er bei der gestrigen Partie verloren hatte. Sollten die beiden Trottel sich doch prügeln.
Alle Beschwichtigungsversuche seitens des Wirts, der mehr um seine Einrichtung als um die Gesundheit der beiden Streithähne besorgt war, blieben fruchtlos. Als Scherben und Stuhlbeine sich häuften und das erste Blut floss – einige meinten, ein Knacken gehört zu haben, als McConnells Faust auf Donovans Nasenbein getroffen war – schritt der Sheriff schließlich ein. Verärgert, weil der Wirt ihn von seinem sicher geglaubten Gewinn fortgerissen hatte. Sechs Mann waren bemüht, die Kontrahenten zu trennen und aus dem Lokal zu bugsieren. Mit hängenden Mundwinkeln betrachtete Willy die Überreste von Gläsern, Flaschen, Bildern, Spiegeln, Stühlen und Tischen. Der Sheriff klopfte ihm auf die Schulter.
„Räum das auf, ja?“
Willy nickte stumm. Da entdeckte der Sheriff etwas, das nicht zum restlichen Bild passte. Im hinteren Teil des Lokals saß ein Mann, der von dem ganzen Geschehen offenbar unberührt sein Steak aß. Mit einer Serviette fegte er die Glasscherben von seinem Tisch und beachtete seine Umgebung nicht weiter. Auch Hilfssheriff Cole hatte den Mann entdeckt und ging zu ihm herüber. Es war ein Fremder, das war in dieser Stadt nicht schwer festzustellen.
„n’Abend“, sagte Cole. Der sah ihn nicht an.
„Sie sind nicht von hier, was?“
Als er wiederum keine Antwort bekam, setzte Cole sich an den Tisch.
„Sie sind wohl `n ganz Harter, was? –He, ich rede mit dir! Was ist? Hast du Schiss? Mann, ich bin Sheriff, bist du staubstumm?“
„Hilfssheriff.“
„Was? Was hast du gesagt?“
„Ich sagte, Sie seien nur ein Hilfssheriff.“
„Du hältst dich wohl für `n Professor, hm?“
Der Sheriff kam nun auch an den Tisch des Fremden.
„Was ist los, Cole?“
„Dieser Kerl will nicht bezahle, hat er gesagt“, antwortete Cole.
„Besonders freundlich sind Sie ja nicht zu Besuchern“, sagte der Fremde, aber er hörte nicht auf zu essen.
„Ich rate Ihnen, das Steak zu bezahlen und sich dann schleunigst wieder auf die Reise zu begeben. Sonst werden Sie noch sehen, was Gastfreundschaft bei uns bedeutet, Mister“, gab der Sheriff zurück.
„Ich hatte nie vor, das Essen unbezahlt zu lassen, aber ich danke Ihnen vielmals für Ihre freundlichen Worte zur Erinnerung.“
Der Sheriff und sein Assistent sahen sich fragend an.
„Ich glaube, sie hören schlecht, Mister. Sie wissen wohl nicht, wo Sie hier sind, oder?“
„In einem unbedeutenden Kaff in New Mexico, in dem es so viele Trottel wie Staubkörner gibt?“
Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab und schob den Teller von sich weg.
„Aber gute Steaks gibt es hier.“ Er grinste übertrieben freundlich.
Das Gesicht des Sheriffs verzog sich zu einem diabolischen Grinsen.
„Irrtum, Fremder. Das hier ist die letzte Bastion von Recht und Ordnung – und hier gibt es die besten Steaks des Landes.“
„Dann bin ich ja beruhigt, ich hatte schon gefürchtet, jemand könnte in mein Hotelzimmer einbrechen. Aber in der letzten Bastion von Recht und Ordnung fühle ich mich sicher.“ Mit der Serviette wischte er das Steakmesser ab.
„Sie gehen jetzt besser ins Bett – morgen müssen Sie noch weit fahren.“
Der Fremde legte Geld neben den Teller und stand auf. Plötzlich stürzte er auf Cole zu, der mit weit aufgerissenen Augen auf den blinkenden Stahl starrte, der vor seinem Hals vibrierte.
„Entschuldigen Sie, ich muss gestolpert sein.“ Kalt grinsend warf der Fremde das Messer auf den Tisch und verließ Willys Diner. Nur Augen folgten ihm hinaus und er erreichte das einzige Hotel des Ortes. Davor saß ein junger Mann auf der Straße. Er trug einen zerfetzten Hut und seine Kleidung war schmutzig. Er saß, die Beine gekreuzt und spielte im Dreck, wobei er vor sich hin murmelte.
Als Stone näher kam, konnte er hören, dass er ein Kinderlied sang. Mit seinen zarten Händen baute er eine Sandburg. Als Stone die Tür des Hotels aufstoßen wollte, sprang der andere auf die Füße, rannte auf ihn zu und streckte ihm seine dreckige Hand entgegen.
„Tag, ich bin Jeff.“
Er wirkte wie ein Kind, das nur äußerlich erwachsen geworden war. Sein übergroßes Grinsen verstärkte diesen Eindruck. Stone hob die Augenbrauen und setzte sein professionell zynisches Lächeln auf.
„Wie schön“, sagte er ohne die Hand zu ergreifen. Und ohne weiter auf den Trottel zu achten, ging er hinein. Als er die Treppe zu dem Flur, auf dem sein Zimmer lag, hinaufstieg, bemerkte er, dass der geistig Schwache ihm folgte, aber er kümmerte sich nicht weiter um ihn. Stone stand vor seiner Tür und nestelte am Schloss, um sie aufzubekommen.
„Tag, ich bin Jeff“, sagte sein Begleiter und hielt ihm die Hand ins Gesicht. Stone schob die Hand beiseite und musterte Jeff.
„Wohnst du auch hier?“
„Tag, ich bin Jeff.“
„Gut, das ist ja toll, ja wirklich. Und jetzt, Jeff, verziehst du dich, klar?“
„Tag, ich bin Jeff“, kam die Antwort, der ein Grinsen beigefügt wurde, das von einem Kind stammen konnte, das soeben sein Geschenk unterm Weihnachtsbaum entdeckt hat. Stone stöhnte.
„Oh, wie wäre es, wenn du zu deiner Mammi läufst, bevor ich dir die Zunge rausreiße?“
„Tag, ich bin Jeff und wer bist du?“
„Wenn du nicht aufpasst, werde ich dein Albtraum, hörst du?“
Stone stieß die Tür auf und betrat das Zimmer. Am Fenster stand ein Mädchen oder eine junge Frau, Stone konnte es nicht erkennen, denn sie stand mit dem Gesicht zum Fenster.
„Ich muss mich wohl im Zimmer geirrt haben…“
„Es ist deins“, kam die schroffe Antwort. Sie drehte sich um. Sie war kaum älter als zwanzig. Bevor Stone etwas sagen konnte, fuhr sie fort:
„Ich bin Sue. Du bist allein, da dachte ich mir, ich leiste dir ein bisschen Gesellschaft.“
Stone wusste, dass diese Art der Gesellschaft kein Willkommensgruß der Bürger war.
„Ich brauche keine Gesellschaft“, sagte er.
„Willst du, dass dein Freund zusieht?“ fragte sie, ohne auf seine Ablehnung zu achten und begann sich auszuziehen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der junge Kerl hinter ihm stand.
„Er ist nicht mein Freund.“
„Ich weiß, er ist ein Idiot, ein Zurückgebliebener. Er ist hier der Dorftrottel. Jeder Fünfjährige hat mehr Grips als der“, sagte Sue und legte sich nackt auf das Bett. Stone setzte sich auf den Stuhl, über dessen Lehne sein Mantel hing. Zu seinen Füßen lag Sues spärliche Bekleidung verstreut.
„Und was machst du so? Beruflich, meine ich?“ fragte Sue und musterte ihn vom Bett aus.
„Ich bin Geschäftsmann.“
„Tatsächlich?“ Sie machte große Augen und riss den Mund in künstlichem Erstaunen auf.
„Ich verkaufe Metalle“, sagte Stone, wobei er sich nicht an ihrem Spott störte.
„Dann hast du doch sicher was über für ein armes Mädchen, das in der Provinz festsitzt.“ Sie setzte einen Hundeblick auf, musste dann aber über sich selbst lachen.
„Ich kann mir vorstellen, dass du dein Geld lieber an einer zweispurigen Straße verdienen würdest“, sagte er kühl.
Das Mädchen schien nun ehrlich verletzt.
„Was ist nun?“ fragte sie gereizt.
„Fünf, wenn du jetzt verschwindest. Das wird das Geschäft der Woche für dich.“
Sie wusste nicht, ob er ernst meinte, aber Stone fügte unbewegt hinzu:
„Sechs, wenn du den Trottel mitnimmst.“
Sue sprang aus dem Bett und ohrfeigte Stone. Jeff betrachtete die Szene fasziniert, obwohl er nicht zu verstehen schien, was vorging, was für ihn die Faszination jedoch nur verstärkte.
„Du Arsch“, schrie das Mädchen, während sie ihre Kleidung aufhob, „behalt deine Scheißkohle! Du kannst es ja mit dem da treiben!“
Jeff bemerkte, dass er gemeint war und brillierte in seiner Reaktion:
„Tag, ich bin Jeff.“
Dafür bekam auch er eine Ohrfeige, als das Mädchen an ihm vorbei aus dem Zimmer stürmte. Die Tür knallte zu und Jeff begann zu heulen, wie ein Kleinkind. Stone stöhnte wieder.
„Diese Stadt ist doch zum Kotzen!“
Er bugsierte Jeff auf den Flur und schloss die Tür ab. Draußen heulte und jammerte er noch eine Weile lang weiter, bis der Hotelier ihn hinauswarf.
Stone setzte sich auf das Bett und zog sich aus. Das Bett roch nach dem billigen, süßen Parfüm des Mädchens. Vielleicht auch nach dem des Mädchens, das zuvor auf diesem Bett gelegen hatte. Er hasste diese Stadt. Er hasste den Staub, die Hitze, die grelle Sonne. Er hasste die hinterwäldlerischen Einwohner dieser Stadt. Morgen aber hatte er zu tun – und das liebte er. Wenigstens glaubte er das manchmal. Er nahm sein Schlafpulver und legte sich hin. Sie würden heute Nacht ruhig sein. Man spielt nur mit dem Feuer, bis man sich verbrennt. Er brauchte das Pulver, um ruhig zu schlafen. Schlaf, Entspannung, damit er morgen bereit war. Zugleich eine Betäubung des ewig quälenden Gestern. Und schon breitete sich Ruhe über ihm aus, die so schwer war, wie der Duft des billigen Parfüms.
Das Waschen am nächsten Morgen tat gut; es wusch den Staub, den Schweiß und die vergangene Nacht hinweg. Die Dusche war defekt und gab unregelmäßige Schübe lauwarmen Wassers von sich. Angezogen und zurecht gemacht begab sich Stone in den Salon, um ein schnelles Frühstück zu sich zu nehmen. Aus nahe liegenden Gründen verzichtete er auf Kaffee, auch wenn sein Verlangen danach sich nicht geschlagen geben wollte.
Draußen war alles so wie am Tag zuvor; Staub, Hitze, die erbärmliche Stadt. Er hatte sich gewünscht, dass dies alles über Nacht verschwunden wäre, aber er wischte den kindlichen Gedanken ärgerlich beiseite. Er hatte bezahlt und ein kleines Trinkgeld dagelassen. Er ging zu seinem Auto, welches hinter dem Hotel geparkt war, und legte seinen Mantel und seinen Koffer hinein.
Das Büro des Sheriffs lag zwei Straßen weiter. Stone fragte sich, ob überhaupt alle der ständig von rotbraunem Staub bedeckten Häuser bewohnt waren. Der Wagen des Sheriffs stand vor dem Büro. Es war niemand zu sehen – ein Vorteil dieses schrecklichen Kaffs. Stone legte sich auf den Rücken und schnitt nach einigem Suchen den Schlauch für die Benzinzufuhr durch. Da der Wagen unten wie oben sehr verdreckt war, schnitt er zwei weitere Schläuche durch, um sicher zu gehen. Als nächstes fuhr er in seinem Wagen durch die Stadt. Vor dem Diner sah er das Mädchen, dessen Bekanntschaft er schon gemacht hatte. Sie sah sehr müde aus und trug dieselben Kleider wie am Vortag. Er hielt neben ihr, aber stieg nicht aus.
„Steig ein“, befahl er.
Sue sah sich erst um und stieg dann widerwillig ein.
„Musst du keine Metalle verkaufen?“ fragte sie bissig.
Stone musterte das Mädchen. Die Ränder unter den Augen zeugten von einer unbequemen Nacht, falls sie überhaupt geschlafen hatte.
„Ich suche einen Samuel Roberts. Er ist ein Kunde, den ich treffen soll. Weißt du, wo er wohnt?“
„Irgendwo außerhalb der Stadt. Hat `ne Hütte an der Straße Richtung Westen. Ich glaub nich, dass der dir Metalle abkaufen wird“, antwortete sie zwischen zweimaligem Gähnen.
„Kannst du mir den Weg zeigen?“ fragte Stone.
„Vergiss es, ich hab zu tun.“
„Ich verstehe, sicher hast du zu tun.“
Sie verzog das Gesicht, als sie merkte, dass er sich über sie lustig machte.
„Hier sind zwei Dollar, kauf dir einen Kaffee.“
Sie steckte die Scheine ein und stieg aus. Ohne ein weiteres Wort ging sie in den Diner. Stone sah zur Sonne und wendete. Am westlichen Stadtausgang saß jemand im Staub und spielte mit zwei selbst gebastelten Puppen. Stone hielt an. Die Person sprang auf und kam an die Beifahrertür.
„Tag, ich bin Jeff.“
Stone ignorierte den Spruch.
„Kennst du Samuel Roberts?“
„Onkel Sam? Er wohnt da.“ Mit einer Puppe zeigte Jeff hinaus in die Ödnis.
„Kannst du es mir zeigen? Ich schenke dir auch eine neue Puppe.“
Sofort rannte Jeff mit ungeschickten Schritten die Straße entlang. Stone fuhr neben ihm.
„Du kannst ruhig einsteigen, Jeff.“
Begeistert sah Jeff ihn an und kletterte auf den Beifahrersitz.
Nach einer Viertelstunde erreichten sie ein windschiefes haus mit blinden Fenstern.
„Du bleibst sitzen, Jeff. Ich muss mich mit Onkel Sam unterhalten.“
Das Haus war verdreckt und leer. Dahinter stand ein rostiger Pick-up neben einer genauso baufälligen Scheune. Roberts werkelte dort an einem alten Radio. Es ging schnell und ohne Probleme. Tage würden vergehen, bis jemand nach Samuel Roberts suchen würde – wenn überhaupt. Stone drehte sich um, da sah er Jeff am Scheunentor stehen.
„Ich wusste es“, sagte Jeff in einer unkindlichen Stimme. „Alle anderen waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu erkennen wer und was Sie sind.“
Stone betrachtete ihn nur regungslos. Jeff stand gerade und erst jetzt fiel ihm auf, dass er gar nicht so schmächtig war, wie er zuerst gedacht hatte.
„Was willst du?“ fragte Stone.
Jeff sah zu der Pistole in Stones Hand und wieder in sein starres Gesicht. In seinen Zügen lagen keine Anzeichen von Bedauern oder Entsetzen über seine Tat.
„Ich will mitkommen“, sagte Jeff.
Stone lachte und steckte die Waffe weg.
„Das geht nicht.“
„Dann werden Sie bald ein gesuchter Mörder sin.“
Stone betrachtete die Leiche, die vornüber gebeugt auf dem Tisch lag. Schwarz und warm floss das Leben über das Radio und über die Werkzeuge.
„Gut, aber die Puppen bleiben hier.“

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Daydreaming

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