Äußerungen zu Hermann Hesse im Katalog zur Ausstellung „Die Lebensreform“
Es ist ganz augenscheinlich, daß sich eine überwältigende Zahl namhafter deutscher Intellektueller, Schriftsteller, Philosophen und Politiker in irgendeiner Form in der Jugendbewegung betätigt hat. Das gilt – um nur einige Namen zu nennen – für Martin Buber, Ludwig Klages, Alfred Weber, Rudolf Carnap, Walter Benjamin, Ernst Jünger, Hermann Hesse, Martin Heidegger, Hans Freyer, Gottfried Benn, Rudolf Bultmann, Paul Natorp, Nicolai Hartmann, Carl Zuckmayer. Durch die intellektuellen Biographien all dieser Männer geistert in irgend einer Form auch das Werk Nietzsches. (I,169)
Manfred Schneider
Hermann Hesse feiert in seinem Vortrag Faust und Zarathustra (1909) Nietzsche als den „großen Baumeister neuer Ideale, neuer Werte“, der den „neuen Tempel: Zarathustra“ errichtet habe, welcher nun den „heiligen Tempel ‚Faust'“ überrage. Noch nach dem Weltkrieg forderte Hesse im Aufruf Zarathustras Wiederkehr (1919) die deutsche Jugend zur Selbsterneuerung aus dem Geiste Zarathustras auf. (I,116)
Theo Meyer
Auch ein Hermann Hesse (1877-1962) kündete 1919 von „Zarathustras Wiederkehr“ – vielleicht in der Gestalt des antimilitaristisch-lebensreformerischen Retters Gusto Gräser (1879-1958). (I,166)
Ulrich Linse
Diefenbachs (1851-1913) Einsiedlertum, das auch mit einer Ablehnung des kapitalistischen Systems einherging, fand seine Fortsetzung in den zwei größten Kommune-Projekten der Lebensreform: in Ascona und in Eden. … 1905 erfolgte die Namensgebung des Ortes Monte Verità … Der Berg wurde zu einem Fluchtort für Aussteiger, Lebensreformer und Gesundheitsapostel. Bekannte Persönlichkeiten wie Hermann Hesse (1877-1962) haben zeitweilig dort gelebt. So wurde der Ort auch zu einem kulturellen Zentrum. … Das Nebeneinander unterschiedlichster alternativer Weltanschauungen führte jedoch bereits bei den Gründern zu einer Spaltung in verschiedene Interessensgebiete, bei denen die eher ökonomisch ausgerichteten Interessen von Henri Oedenkoven und Ida Hofmann mit den extremen Aussteigermentalitäten Karls und vor allem Gusto Gräsers kollidierten. (II, 218)
Hilke Peckmann
Die Beziehung Hermann Hesses zu Gräser blieb lange im Dunkeln, obwohl man hier mit Sicherheit von einer persönlichen Begegnung ausgehen kann. Spätestens im Frühjahr 1907 hat sich Hesse … auf dem Monte Verità einer Kur unterzogen … Der ein Jahr später veröffentlichte Aufsatz In den Felsen. Notizen eines Naturmenschen gibt … die drastische Schilderung einer Roßkur … möglicherweise in Anspielung auf Gräsers Existenz in einer Höhle des Gebirges. Die Erzählung Freunde (1907) überliefert kritische Reaktionen der Gesellschaft auf ein derartiges Abenteuer Hans Calwers (der Held trägt Hesses Geburtsort im Namen) … Die „Naturverehrer in malerisch exotischen Kostümen und auf Sandalen, mit Christusköpfen und Apostelköpfen“ kehren in mehreren Erzählungen Hesses wieder; Askese und Einsiedlertun bilden zentrale Motive seines Oeuvres.(I, 311)
Peter Sprengel
„Ich lebe nackt und aufmerksam wie ein Hirsch in meinem Geklüfte“, schreibt Hermann Hesse im Frühjahr 1907. Er lebt mit Gräser zusammen in dessen Felsenhöhle in den Bergen hinter Ascona. Fastend und meditierend versucht er, dem Weg seines Freundes zu folgen. … Gräser ist jedoch nicht der weltabgewandte Asket, als den Hesse ihn sah. In Mondscheinnächten vollführt er ekstatische Tänze in den Wäldern um Ascona; ein Gefolge von Mittänzern tut es ihm nach. In Schwabing bringt er seinen „Feuertanz“ auf die Bühne, tritt mit Reden und Gedichten an die Öffentlichkeit. …
Im Herbst 1916 (wandelt sich) … Hermann Hesse, der einstige Kriegsfreiwillige, zum entschiedenen Pazifisten. Gusto Gräser wird ihm endgültig zum „Freund und Führer“ , zum Daimonion, zu „Demian“. Mit der so betitelten Erzählung schreibt Hesse die Geschichte ihrer Freundschaft, den Roman des Monte Verità. (I, 322f.)
Hermann Müller
Hesse wird im Katalog dreimal abgebildet, zweimal auf dem Monte Verità, einmal als Nacktkletterer in den Felsen. Gräser ist im Katalog durch sein Ölbild ‚Der Liebe Macht‘ vertreten, außerdem durch sieben Fotos aus seinem Leben.
Nähere Informationen zur Ausstellung und zum Katalog gibt es unter:
www.dielebensreform.de und
www.darmstadt.de/kultur/museum/instmath.htm
Dank an Herrn Hermann Müller