Hesse und die „Angstmühle“

OLDENBURG/CALW. Wie Hummeln die Brombeerblüten, so suchen auch zumeist junge, angehende Schriftsteller arrivierte Autoren heim, immer in der Hoffung, einer aufmunternden oder sogar lobenden Antwort gewürdigt zu werden. Auch Hermann Hesse ertrank fast in der Flut von Manuskripten, die mit oft gefühligen Gedichten, esoterisch aufgeplusterten Novellen oder herzerweichenden Romanen des Dichters Beifall zu erheischen trachteten, wenn nicht gar dessen empfehlende Vermittlung an einen Verlag. Doch solchem Ansinnen entzog sich der ansonsten sehr hilfsbereite Hesse ziemlich durchgehend, fertigte mit bisweilen recht knurrigen Worten die Bittsteller ab.

Wilhelm Kunze
Geboren am 1. September 1902 in Nürnberg. Polio und schwere Herzkrankheit in der Kindheit. 1912 bis 1919 Gymnasialzeit in Nürnberg und Nördlingen. Buchhandelslehre. 1922 Gründung eines Literaturzirkels in Nürnberg und Veröffentlichung erster Gedichte und Novellen, sehr lobend rezensiert von Heinrich Mann, mit dem sich Kunze anfreundet. 1924 Novelle „Der Tod des Dietrich Grabbe“. Seit 1925 freier Schriftsteller und Feuilletonist. 1928 Hörspiel „Kaspar Hauser“ (bis 1933 mehrfach gesendet). 1930 Roman „Die Angstmühle“.1936 beschlagnahmen die Nazis Kunzes letztes Buch „Blauer Himmel um die Erde“. Am 1. Juli 1939 stirbt Kunze isoliert und vereinsamt in seiner Heimatstadt.

Nicht so den damals achtzehnjährigen Nürnberger Buchhandlungsgehilfen Wilhelm Kunze, der sich am 19. Juli 1920 in einem ausführlichen Brief an den Verfasser des „Knulp“ gewendet hatte. Vielleicht waren es Kunzes Überlegungen zu „Unterm Rad“ und die von ihm so empfundenen Unterschiede zu Hesses gerade erschienenem Dostojewski-Essay „Blick ins Chaos“, die Hesse abweichen ließen von seinen sonstigen Gepflogenheiten. Zunächst noch etwas reserviert antwortete er dem schwärmerischen Jüngling, lehnte dessen mehrfache Aufforderung zu einer Dichterlesung in Nürnberg ab, gab aber die Erlaubnis zum Abdruck einiger seiner Texte im „Bund“, einer von Kunze herausgegebenen Literaturzeitschrift.

In dem zehn Jahre dauernden, immer herzlicher werdenden Briefwechsel, den jetzt der Oldenburger Igel-Verlag vorgelegt hat, berichtet Hesse unter anderem über seine Arbeit am „Steppenwolf“ und an „Narziss und Goldmund“. Überraschend für manche, die Hesse vorzugsweise immer noch als Künder östlicher Weisheit vereinnahmen wollen, sind folgende, im September 1922 an Kunze gerichtete Zeilen: „… grade jetzt, wo das indische oder östliche Gewand mir nichts mehr bedeutet, und ich sehe, dass abendländischer Geist und abendländische Geschichte auch nichts andres lehren als die des Ostens.“

Dem Drängen Kunzes nach einer Dichterlesung in Nürnberg gab Hesse schließlich im November 1925 doch nach. Leider ist Kunzes entsprechende Tagebuchnotiz (enthalten in „Hermann Hesse in Augenzeugenberichten“) in dem Briefwechselband nicht vorhanden, ebenso wenig wie ein sehr wichtiger Brief Hesses. Andererseits – und das füllt eine Lücke zur Literatur über Hesse – sind dem Buch dreizehn sehr einfühlsame und stilistisch elegante Kunze-Rezensionen und Essays zu Hesse beigegeben, darunter die feine Beschreibung von Kunzes Besuch in Hesses Geburtsstadt Calw im Jahr 1923. Die Hinwendung des recht hübschen Nürnbergers zur Anthroposophie indes behagte Hesse weniger, der dieser Weltsicht überhaupt nichts abgewinnen konnte.

 
 Illustration der „Angstmühle“ von Alfred Kubin
 

Zum Bruch zwischen Hesse und Kunze führte aber etwas gänzlich anderes: Die ungemein harsche Kritik an Kunzes spätexpressionistischem Roman „Die Angstmühle“, den ebenfalls der Igel-Verlag publiziert hat mit der von Alfred Kubin geschaffenen Titelillustration. In einem Brief und einer fast wörtlich wiederholten Rezension für die Basler „National-Zeitung“ im November 1930 überschüttet Hesse den Verfasser mit rüden Vorwürfen. „Die Grundeinstellung dieser Jugend zu allem Moralischen scheint mir eine völlig falsche, ja krankhafte, ja verrückte zu sein – nicht etwa nur in diesem Roman, sondern in der Wirklichkeit.“ Vielleicht mochte Hesse auch den Staccato-Stil des aus lockeren Szenen gebauten Romans nicht. Zwar reagierte der verletzte Kunze noch einmal schriftlich, doch der Briefkontakt der beiden Schriftsteller fand keine Fortsetzung mehr. Bis zum Jahr 1952 aber schickte Hesse Kunzes Witwe Josefine immer wieder Gedichte oder Prosatexte. Der Unmut des Dichters war altersweiser Nachsicht gewichen.

Sebastian Giebenrath

Hermann Hesse/Wilhelm Kunze: Briefwechsel 1920 bis 1930. Mit 13 Essays Kunzes über Hesse. 128 Seiten, engl. Broschur, einige Abb., Igel Verlag, ISBN 3-89621-209-5, 15.- Euro

Wilhelm Kunze „Die Angstmühle“ und andere Texte, 192 Seiten, engl. Broschur, Igel Verlag, ISBN 3-89621-181-1, 22.- Euro

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sebastian

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