Dokumente eines Scheiterns

FRANKFURT/CALW. Der Papst höchstselbst soll dieser Tage dem spanischen Regierungschef den Kopf gewaschen haben, wie die Nachrichtenagenturen eiligst meldeten. Denn irgendwelche Laxheiten in punkto Ehe, und seien sie nur gedanklich-politischer Natur, will das sittenstrenge Kirchenoberhaupt niemandem durchgehen lassen. Doch wie so oft sind hoher Gedankenflug und irdische Wirklichkeit himmelweit voneinander entfernt, auch und gerade was jene jahrtausendealte Institution der Ehe anlangt, die Kierkegaard einmal die wichtigste Entdeckungsreise genannt hat, die ein Mensch unternehmen könne.

Hermann Hesse, „Liebes Herz!“, Briefwechsel mit seiner zweiten Frau Ruth Wenger, herausgegeben von Ursula und Volker Michels, 644 Seiten, gebunden, Suhrkamp Verlag, ISBN 3-518-41725-8, 29,80 Euro

Wie abenteuerlich und gleichzeitig beide Seiten schrecklich ernüchternd eine solche Reise verlaufen kann, das zeigt nun der Briefwechsel zwischen dem Dichter Hermann Hesse und seiner zweiten Frau Ruth Wenger. Gewiss hatte sich Hesse nach dem Scheitern seiner ersten Ehe keine Illusionen mehr gemacht, doch auch nicht den von ihm geliebten Jean Paul zur Warnung dienen lassen, der im „Siebenkäs“ festhielt: „…ach, ihr sehet wie sie heute den Zank- und Schönheitsapfel der Ehe nur in der Sonnenseite der Liebe hangen, so rot und so weich; aber die grüne, saure, im Schatten versteckte des Apfels sieht niemand.“

Dass Hesse nach fünf Jahren der Bekanntschaft die 20 Jahre jüngere Sängerin Ruth Wenger schließlich doch im Januar 1924 heiratete, könnte als kapitales Missverständnis gedeutet werden, zumal die beiden während der vierjährigen Ehe nur fünf Monate zusammenlebten – in einem Basler Hotel. „Praktisch nur auf dem Papier“ existierte die Verbindung, obwohl sie zwei Jahre vor der Heirat den Dichter zu dem Liebesmärchen „Piktors Verwandlungen“ inspiriert hatte. Bei Ruth sei es Liebe auf den ersten Blick gewesen, meint Volker Michels, der den Briefwechsel herausgegeben und mit einem biografisch sorgfältigen Vorwort versehen hat. Zu spät aber „für das Spiel mit dem Feuer“ scheine sich der damals schon berühmte Autor gefühlt zu haben. Dem stetigen Drängen und Werben der jungen Sängerin aus vermögendem Hause vermochte Hesse jedoch nicht zu widerstehen – genau genommen wurde der Verfasser des „Demian“ geheiratet.

Das nicht zu leugnende Unbehagen über die gesetzlich fixierte Liaison bricht sich in manchen Briefen Hesses energisch Bahn. Wobei den Leser durchaus erschrecken mag, welcher Kälte und Schroffheiten der weithin als zartfühlend geltende Dichter fähig war. Hesses großzügiger Schwiegervater Theo Wenger wirft ihm gar „übelnehmerische Art“ vor. Wohl spricht Hesse seine attraktive Ruth auch, allerdings vor der Verheiratung, als „Liebes Herz“ an, was dann der Buchausgabe des Briefwechsels den Titel gibt. Doch selbst liebevolle Worte während der Ehezeit wie „Schlaf gut, kleiner Schatz“ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in Hesse eine Verbitterung festgefressen hatte über die von ihm mitverschuldete Mesalliance. Einen lebenslangen Groll hegte auch Ruth, festgehalten in ihren 50 Jahre später abgefassten Erinnerungen, die dem Buch beigefügt sind – keine Lektüre für Hesse-Anbeter, aber stets fesselnde Dokumente des Scheiterns einer Dichterseele.

Sebastian Giebenrath

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