Im Dunstkreis eines Dichters

Ungnädig verfahren germanistische Nörglerseelen mit Hermann Hesse, dem meistgedruckten deutschsprachigen Autor des 20. Jahrhunderts. Er wird – zumindest in Deutschland – weitgehend von denen boykottiert, die sich von Berufs wegen mit Literatur auseinander zu setzen haben. Das mag auch daran liegen, dass bislang keine zuverlässige Gesamtausgabe einen vollständigen Überblick gewährleistete. Dem endgültig abgeholfen hat nun nach jahrelanger Vorarbeit Hesses Stammverlag Suhrkamp mit Volker Michels als Herausgeber und kundigem Verfasser der opulenten Nachworte.

Hermann Hesse, Sämtliche Werke, 20 Bände (auch einzeln beziehbar), 14 000 S., Leinen, herausgegeben und mit Nachworten versehen von Volker Michels, Suhrkamp Verlag.
Registerband in Vorbereitung

Hermann Hesse, Spiel mit Farben – Der Dichter als Maler, Hrsg. Volker Michels, 276 S., über 230 Farbabb., Großformat, Leinen, Suhrkamp Verlag, ISBN 3-518-41730-4

Hermann-Hesse-Jahrbuch Band 1, Hrsg. Mauro Ponzi, 200 S., Leinen, Max Niemeyer Verlag, ISBN 3-484-60469-7

Hermann-Hesse-Jahrbuch Band 2, Hrsg. Mauro Ponzi, 212 S., Leinen, Max Niemeyer Verlag, ISBN 3-484-60472-7

Matthias Hilbert, Hesse und sein Elternhaus – Zwischen Rebellion und Liebe, 292 S., Hardcover, Calwer Verlag, ISBN 3-7668-3972-1

Der Kreis der „Individualität“, Willy Storrer im Briefwechsel mit Oskar Schlemmer, Hermann Hesse, Robert Walser und anderen, Hrsg. Ralf Lienhard, 342 S., Hardcover, Haupt Verlag, ISBN 3-258-06665-5

Mehr als ein Drittel der seither bekannt gewordenen Hesse-Arbeiten stehen dem Wissbegierigen zusätzlich zur Verfügung, darunter allein fünf Bände mit den rund 3 400 Buchrezensionen und manchen Ergänzungen oder Zweitfassungen bereits bekannter Werke. Da Hesse wie kaum ein anderer Autor der Weltliteratur seine wechselnden Lebensumfelder als literarischen Steinbruch nutzte, sind besonders die autobiografischen Schriften (Band 11 und 12) aufschlussreich, sei es über Theologie, das Rauchen oder das Schreiben selbst. Die in blauem Leinen und goldgeprägter Hesse-Signatur nobel ausgestatteten und typographisch angenehm gestalteten zwanzig Bände sind nicht nur begehrenswertes Lesefutter für den Hesse-Liebhaber, sondern können ebenso solide Grundlage sein für die wünschenswerte, wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Allerdings kann es dabei auch zu etlichen Misslichkeiten kommen, wie ein Blick in die bisher vorliegenden beiden Bände Hermann-Hesse-Jahrbücher erweist, die im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft von dem römischen Germanisten Mauro Ponzi herausgegeben werden. So lässt Andreas Solbach in Band 1 den schaudernden Leser über Hesses „Meine Erinnerung an Knulp“ wissen: „… nutzt den Erzählmodus des peripheren homodiegetischen Erzählers, der als chronikalischer Beobachter auftritt und dessen eigenes Leben nur in seiner Funktion auf das berichtete Leben von Bedeutung ist, während die rahmenden Erzählungen die klassische Form des heterodiegetischen Erzählers mit innerer Fokalisation, also eine personale, an eine auktoriale sich annähernde Erzählsituation wählen.“ Eine auch sprachlich aparte These über den Leser des „Demian“ verficht Helga Esselborn-Krumbiegel in Band 2: „Indem der Autor ihn im Deutungszentrum der Texte situiert, überträgt er ihm die Aufgabe der Reskription: der Leser soll die Splitter des Kaleidoskops zusammenfügen.“ Ein Dichter hat es eben mit seinen Deutern manchmal etwas schwer. Andererseits bieten die beiden Bände – neben den schon immer überstrapazierten Erörterungen über Hesse „Ich-Suche“, die Psychoanalyse und chinesische Einflüsse – durchaus etliche nachdenkenswerte Aufsätze. Ausgeblendet bleibt (noch) die dringend notwendige Aufarbeitung der literatur- und kulturhistorischen Einflüsse auf Hesse, der sich selbst nicht von ungefähr als Romantiker bezeichnete. So finden der sogenannte Bundesroman oder die von Ludwig Tieck in „William Lovell“ literarisierte Spieltheorie ihre streng formalisierte Umwandlung und Fortsetzung im „Glasperlenspiel“, bei dem es ebenfalls die Spuren der Rosenkreuzerschriften von Johann Valentin Andreä und der Klosterregeln des Wilhelm von Hirsau zu erforschen gälte – genügend Stoff für noch jede Menge Jahrbücher.

 
 Matthias Hilbert, Hesse und sein Elternhaus
 

An die Fersen von Hesses Eltern hat sich Matthias Hilbert geheftet in seinem zitat- und materialienreichen Buch, das in seinem Anmerkungsteil bisweilen theologisch eigenwillige Ausdeutungen anbietet. Hilbert versucht den Nachweis zu erbringen, der pietistisch-fromm unterfütterte Erziehungsstil von Hesses Eltern sei von dem Jungen keineswegs so drückend und weltfremd empfunden worden, wie von den meisten Hesse-Biographen behauptet. Als Belege führt Hilbert oft Stellen aus Hesses autobiografisch getönten Werken an, die aber – Hesse hat immer wieder darauf hingewiesen – ausschließlich Ergebnisse literarischer Prozesse sind. Keineswegs beherzigten Hesses Eltern die auch heute noch überaus modernen Empfehlungen zur Kindererziehung von Johann Christoph Blumhardt, dem Freund von Hesses Großvater Hermann Gundert: „Nun ist es gar nicht recht, aus allem nur gleich ein großes Verbrechen zu machen … Begreiflich, dass es da nicht recht gehen will.“ Trotz seiner etwas einseitigen Parteinahme im pietistischen Sinne ist Hilberts Buch eine Bereicherung für den Hesse-Büchertisch.

„Ihre sechs Steppenwolf-Gedichte scheinen uns nicht das geistige Leben zu fördern, sondern zum Tod zu verführen“ kanzelte Willy Storer im Juli 1927 Hesse ab und verweigerte den Abdruck in der Zeitschrift „Individualität“. Obwohl Storer lange Zeit Sekretär des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner gewesen war, blieb die Zeitschrift weltanschaulich neutral, was Hesse, der von der anthroposophischen Richtung überhaupt nichts hielt, auch bewog, auf Anforderung etliche Gedichte einzusenden. Zumal Oskar Schlemmer und der von Hesse hochgeschätzte Robert Walser in der „Individualität“ veröffentlichten. Und Walser war es, der Storrer mitteilte : „… muß ich Ihnen sagen, dass auch mich Hermann Hesse mit seinen Pulvertürmen gelinde erschreckt hat, hoffentlich beunruhigen ihn die Steppenwölfe mit der Zeit weniger.“ Den literaturgeschichtlich interessanten Briefwechsel Storrers mit den von ihm umworbenen Autoren, darunter Thomas Mann, hat Ralf Lienhard herausgegeben und mit einer kulturgeschichtlich aufschlussreichen Einleitung versehen.

 
 Spiel mit den Farben
 

Wiewohl er sogar einmal mit Paul Klee ausgestellt hat, bezeichnete sich Hesse selbst nie als talentierten Maler. Gleichwohl finden seine farbfrohen Landschaftsaquarelle stets begeisterte Betrachter. Dem kommt der von Volker Michels herausgegebene Prachtband „Spiel mit Farben“ entgegen. Die ausnehmend gute Druckqualität der vielen Farbtafeln auf mattiertem Papier und die vom Herausgeber liebevoll ausgesuchten Hesse-Texte machen dieses Buch zu einem idealen Geschenk für den großen Verehrerkreis des Dichters.

Sebastian Giebenrath

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