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Zitronenkuchen (oder versteckte Vernunft)

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Ein stinknormaler Tag, einer von jenen, die man aus routinierter Langeweile nicht einmal beginnen möchte, bis zu dem Augenblick da die tiefe dröhnende Stimme des Abteilungsleiters durch die Korridore hallte. Herr Meyer zuckte zusammen vor seinem großen flimmernden Computerbildschirm. Er hasste es, wenn sein Chef der ganzen Firma seine indiskutable Anwesenheit bescheinigte und zudem noch den Namen „Meyer“ dabei verwendete. Langsam stand er von seinem Stuhl auf und trottete genervt in die Richtung, aus der dieser donnernde Ruf kam. Vor der Tür angekommen ein kurzes Zögern, bevor er die Klinke herunterdrückte. „Kommen Sie schon rein, Meyer!“ forderte ihn der bullige Mann hinter dem riesigen Eichentisch auf. Zeit war eines der Dinge, die sein Chef noch nie hatte und wahrscheinlich auch nie haben wird. „Setzen Sie sich schon! Naja, ich …also… habe Ihnen …ääh…eine Mitteilung zu machen.“ Kam es stockend doch nicht weniger dunkel als zuvor hinter dem von Papierstapeln beladenen Tisch hervor. Herr Meyer sagte nichts. „Sie wissen doch, wie schlecht die Geschäfte zur Zeit gehen und, dass das Finanzamt uns im Nacken sitzt. Natürlich, Sie sind einer unserer Buchhalter. Hehe…“ Ein kurzes Räuspern, Zurechtrücken der Krawatte und weiter: „Es ist ernst. Wir müssen sparen. Vor Allem beim Personal! Sie wissen, was das heißt?“ Betretenes Schweigen, „Es tut mir leid!“ fügte er noch kühl hinzu. Herr Meyers gelangweilte Gesichtszüge verschwanden und fragende Blicke, ja hilflose, traten an deren Stelle. In seinem Kopf begann etwas eindringlich zu pulsieren. „Das können Sie nicht machen. 20 Jahre habe ich immer gut gearbeitet, schon unter Ihrem Vater.“ Stammelte er verzweifelt. „Es tut mir wirklich leid, Meyer!“ „Was heißt da, es tut Ihnen leid?! Davon kann ich meine Familie auch nicht ernähren.“ Schleuderte der Angestellte seinem hochrotem Chef zornig entgegen. Der stämmige Anzugträger in seinem Ledersessel zog nur die Schulter hoch und kniff verlegen die Lippen aufeinander. Wortlos, doch aufgebracht, verließ Herr Meyer das Büro, zum letzten Mal.
Am Nachmittag war Frau Meyer gerade dabei, ihren allseits beliebten Zitronenkuchen zu backen, als sich im Flur die Haustür langsam öffnete und ihr aufgelöster Mann mit leerer Miene eintrat. Freudig rief sie aus der Küche: „Hallo Schatz, und, wie war dein Tag? Rat mal, was ich gerade backe?“ Ohne ihre Fragen zu beachten folgte er stumm, noch in seiner Jacke, ihrer Stimme. „Schaatz?… Huch da bist du ja, … Was ist denn mit dir passiert?“ sagte sie sorgenvoll nach einer eleganten 180° Drehung, wie sie Hausfrauen meist beherrschen. Er ließ sich kraftlos auf einen Stuhl fallen, stützte den Ellenbogen auf den kleinen Küchentisch und legte den Kopf in seine Hand als wäre er aus Blei. „ Ach Sabine!“ brachte er mit einem tiefen Seufzer hervor, „ Ach Sabine. Wie soll ich es dir nur sagen?“ „Na, was hast du nun schon wieder angestellt?“ erwiderte sie witzelnd. Doch Herr Meyer fuhr, ihre Bemerkung missverstehend, vom Tisch hoch und schrie zornig: „Was ich wieder angestellt habe? Sag mal, was redest du da? Ich wurde heute gefeuert, verdammt noch mal und du machst auch noch deine Witzchen.“ Erschrocken wich sie zurück. So hatte Sabine ihren Mann noch nie erlebt. „Aber Rainer, …“ „Aber Rainer, aber Rainer …“ äffte er sie zynisch nach, „Du hast doch keine Ahnung. Die haben mich gefeuert verstehst du. Wovon zur Hölle sollen wir leben? Meinst du dein ach so toller Zitronenkuchen wird uns retten? Nein Sabine, nein. Aber woher sollst du es auch wissen. Wenn man sein ganzes Leben lang Hausfrau war,…“ Tränen füllten Sabines Augen und ihr Kinn kräuselte sich, wie immer wenn sie krampfhaft versuchte nicht zu weinen. Er blickte betroffen zu Boden, bereute seine überschnelle aggressive Reaktion, doch er entschuldigte sich nicht. Sie blickte ihn bittend an. Keine Reaktion, er hob nicht einmal den Kopf. Nun brach es aus ihr heraus und sie schlug die Hände vors Gesicht, ließ sich auf den Platz sinken, auf dem ihr Mann zuvor gesessen hatte. Er stand wie angewurzelt daneben und zeigte keinen Ansatz sie zu trösten. Noch einmal schaute Sabine zu ihm auf und suchte nach etwas in seinem Blick, dass vielleicht sagen würde `Tut mir leid mein Engel`, doch sie fand nichts. Flüsse und Meere weinend flüchtete sie rasch aus der Küche. Aus dem Ofen stieg der warme Geruch von frischgebackenem Zitronenkuchen und erfüllte die Luft. Herr Meyer bekam Appetit.
Mit verschwommenen Blickfeld kauerte Frau Meyer, ein kleines Häufchen Elend, auf dem alten Zweisitzer im Wohnzimmer. Verkrampft umklammerten ihre Arme die angezogenen Beine, der Schock saß tief. Warum hatte er das gesagt? Waren das wirklich seine Gedanken? Er wusste doch, dass sie es sich weder ausgesucht hatte noch mochte. Sie wollte immer etwas aus sich machen und dann hatte sie eine Familie gegründet, mit Rainer zusammen. Drei Kinder, zwei davon nicht mehr zuhause. Eine helle, fast piepsige Stimme riss sie ungewollt aus ihren Gedanken. „Du Mama, warum bist du so traurig?“ Sie wollte ihre Tränen vor ihm verstecken und meinte ruhig: „Ist schon gut. Es ist nichts. Mami möchte bloß alleine sein, weißt du?“ Der kleine Knirps zog an ihrem Ärmel und blieb hartnäckig, „Doch, du hast geweint Mama.“ Das war zuviel für sie. „Lass mich jetzt bitte allein. Geh schon!“ sagte sie gereizt. „Aber Mama,…“ „Aber Mama, aber Mama,…“ fuhr sie ihn an, „Kannst du mir nicht ein Mal meine Ruhe lassen? Du bist ein echter Quälgeist. Verschwinde in dein Zimmer! SOFORT!“ schimpfte sie entnervt auf den Kleinen ein. Aus seinen großen Kulleraugen schoss ein Schauer von Gefühlen, salzige Flut. Mit kleinen Schritten huschte der kleine Meyer durch den Flur in sein Zimmer, knallte die Tür so gut es mit den kurzen Armen eben ging und warf sich laut heulend auf sein Bett in die vielen bunten Kissen. Frau Meyer ist plötzlich still geworden und blickte schuldbewusst an die weiße Raufasertapete, doch sie lief nicht hinter ihrem Sohn her. Es wurde kalt und sie sehnte sich nach einer Schulter zum Anlehnen und einem Arm, der sich um sie legte(, sie hielte).
Immer noch weinend und mit beiden Fäusten in das Federbett schlagend lag der Kleine in seinem spielzeugbepackten Zimmer. Er verstand das alles nicht. Er wollte doch nur gut zu ihr sein. Schließlich hatte er die Mama doch lieb. Wütend und frustriert hämmerte er auf die Kissen ein und traf dabei aus Versehen seinen Lieblingsteddy, Bruno. Nie im Leben hätte er zugelassen, dass Bruno etwas geschieht, geschweige denn hätte er ihm selbst etwas angetan, doch in diesem Moment nuschelte er nur durch den Tränenvorhang hindurch: „Geschieht dir recht, du blöder Teddy. Liegst den ganzen Tag faul da auf dem Bett rum und hilfst mir auch nicht. Hmmpf!“ Arrogant streckte er die kleine Nase in die Höhe, verkreuzte die Ärmchen vor der Brust und schloss die Augen dabei. Bruno antwortete nicht. Vorsichtig blinzelte der Knirps durch sein rechtes Auge, wandte sich zu seinem Spielgefährten um. Sein zerknirschtes Gesicht ließ ahnen, wie es in seinem Kopf ratterte. Was hatte er getan?! Kurz entschlossen riss er den Teddy an sich. Wie nie zuvor (drückte und) knuddelte er ihn. „Entschuldigung….“

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das_Zottel

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