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Und in der Pause ein Tetängschee

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Eine Glosse von Sebastian Giebenrath

Besitzen Sie ein Taschentuch, noch so ein richtig stoffiges, in das hineingeschnaubt werden kann ohne gleich ein Loch zu produzieren? Wenn ja, dann steht Ihrem Besuch im Festspielhaus Baden-Baden nichts im Weg. Denn gar nicht leiden mag es die Leitung des Musentempels, wenn ein Schubertsches Adagiopianissimo oder die optischen Zartheiten eines Balletts untermalt werden von den akustischen Begleiteffekten einer Erkältung. Deshalb vermerken die vornehm burgunderroten Programmhefte auch jeweils diskret, es möge doch bei allfälligen Lauteruptionen des Halses ein Taschentuch als Schallbremse benutzt werden.

Wer nun etwa befürchtet, der Gebrauch eines solchen Dämmungsaccessoires könne der Eleganz abträglich sein, sollte völlig sorglos sein Tüchlein ziehen. Erstens geht Kunst ohne Hustenaccompagnato immer vor, und zweitens ist das mit der Eleganz in den Kulturkathedralen des Südweststaates so eine Sache. Ob nun in Pforzheim, Karlsruhe, Stuttgart oder Baden-Baden – die Grässlichkeit brauner Halbschuhe zum schwarzen Anzug kann überall beäugt werden; auch die Kühnheit mancher Damen, mit fuchsrot kolorierter Haarpracht kreischrote Abendjäckchen zu kombinieren, ist beileibe nicht ortsgebunden.

Ohnehin scheint der Mangel an wirklichem Chic geradezu endemisch – selbst bei Opernpremieren wartet nur höchst selten die Damenwelt mit erlesener Abendrobe auf. Und da offenbar viele Herren der Schöpfung Smoking für ein usbekisches Eselsmilchgetränk halten, bleibt nur die Phantasielosigkeit der Krawattenindustrie zu bestaunen, die zwischen faden Streifen und neckisch-bunten Comicfiguren nichts weiteres zu kennen scheint.

Dennoch sind regionale Unterschiede bei Publikumseigenheiten unverkennbar, sowohl was das Outfit, die Pausenunterhaltungen und – ja auch – die Getränkeauswahl anbetrifft. In Pforzheim wird beispielsweise dem geschulten Beobachter auffallen, dass die Goldstadt zumindest ihrem Ruf an Hals, Armen und Händen der Weiblichkeit gerecht wird. Kostbares und sichtlich teures, aber zumeist dezentes und stilvolles Geschmeide schmückt die Damen, die sich in der Pause je nach Gusto mit einem Piccolöchen oder einem Tässchen Kaffee bescheiden, sonst jedoch öfter die Tomatenpreise auf dem Wochenmarkt für wichtiger halten als die Inszenierung.

Weit mehr Wangenküsse als andernorts werden ausgetauscht im Staatstheater Stuttgart. Zwar verlocken im ersten Stock des Großen Hauses Lachs- und Shrimpshäppchen, wird Campari-Orange gesüffelt, hat sich je und je mal ein kunstvoll aufgebrezelter Transvestit unters Publikum gemischt, spenden eingefleischte Fangruppen öfter Zwischenbeifall als in anderen Häusern, aber die zuständige Denkmalschutzbehörde hat es seit Jahren immer noch nicht geschafft, endlich den fehlenden Silberbommel ganz oben rechts an der Vorhangschabracke zu ersetzen.

Vielleicht sind Kunstakademie, ZKM und Musikhochschule in Karlsruhe schuld daran, dass – zumindest im Schauspiel – häufiger Männer in stumpffarbenen Handstrickpullovern aufkreuzen, begleitet von flatterhaariger, kuschelbedürftiger, mit Silberschmuck behangener Weiblichkeit. Auch im Großen Haus gehören Jeans, Karohemd oder kokett mit bunten Seidenschals aufgetürmte Frisuren nicht gerade zu den Seltenheiten.

In keiner Garderobe hängt soviel Nerz, Zobel und anderes Pelzwerk wie in Baden-Baden. Gucci-Täschchen und Prada-Schuhe dominieren, schwersündige Parfums durchwallen das nüchterne Foyer des Festspielhauses. Internationaler Ruf verpflichtet eben. Das dachte sich wohl am Getränkebuffet auch jene breitbrüstige, in eine kupferfarben schillernde Paillettenbluse eingezwängte Brünnhilde. Sie verlangte ziemlich laut, und sah sich dabei beifallheischend um, ein Glas Tetängschee. Nun ist Taittinger in der Tat ein nobles Gesöff und kommt aus Frankreich, doch dieser Champagner spricht sich, wie er sich schreibt. Sollten Sie sich aber diesen Luxus nicht gönnen wollen in der Pause, dann reicht es hernach, wenn Sie ihr Mouchoir (zu gut deutsch: Taschentuch) aus Schweizer Batist zücken, um....siehe oben!

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Sebastian

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