Liebeslied
Der Unterschied war ihm nie bewußter, als zu jenem Zeitpunkt, als er da an der Landstraße stand und die Trucks an ihm vorbeidonnerten, irgendeinen Punkt in weiter Ferne anpeilten und ihn ignorierend, vorbeizogen.
Er fühlte sich allein. Vor ein paar Tagen wäre er froh gewesen, allein zu sein, doch nun, nachdem die Entscheidung getroffen war, hoffte er nur noch auf irgendeine menschliche Seele, die ihm in seiner Entscheidung bestärken möge. Dieses Warten hatte etwas unerträgliches. Ähnlich müssen sich die Kandidaten in ihren gelben Anzügen fühlen, deren Rücken das Wort 'County Jail' ziert. Aber das war nur die Hoffnung, die er sich gerade zurecht legte, das hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die Leute im Knast waren abgeklärt, wußten ganz genau, was sie erwartete, hatten ihr Urteil in der Hand, wußten wann und wo es vollstreckt wurde und brauchten bis dahin nur die Zeit irgendwie herumbekommen. Jede beliebige Uhr half ihnen dabei, den verbleibenden Rest ihres Lebens einzuschätzen. Der Tag war geregelt, die nächsten drei, vier Jahre geplant. Morgens aufstehen, rasieren, den Wärter mit dem Frühstück erwarten, nach dem Frühstück warten auf das Mittagessen, ein kurzes Nickerchen, ein kurzer Spaziergang, warten auf das Abendessen, warten auf die Nachtruhe, warten auf den Schlaf der nicht kommen wollte, warten und warten. Warten auf Dinge, die da nicht mehr kommen, denn der Mensch gibt die Hoffnung ja nie auf. Hoffnung ist Warten. Für Ray ist Warten Hoffnung.
Dabei war sein Ziel nicht klar, reichte nur bis zum nächsten Schritt: Mit jemanden reden. Jemand, der ihm den Druck in seinem Kopf nehmen und ihm sagen würde, worin das Ziel bestand, denn soweit reichte seine Hoffnung nicht. Er hatte kein Urteil, keinen Zeitpunkt. Er hatte nur das hier und jetzt und musste warten. Warten auf jemanden, dessen Gesicht er nicht kannte, warten auf eine Erklärung, deren Absicht er jetzt noch nicht verstand.
Doch niemand kam.
Nur die Trucks zogen ihre Bahnen, verstärkten in ihm das Gefühl der Ziellosigkeit, indem sie einfach nur vorbeirasten.
Rays Lage schien aussichtslos. Er brauchte das Urteil, konnte nicht leben wie K. - jahrelanges Warten auf das Urteil. Es mit jedem Tag herbeisehnen, ja, wenn es sein musste, selbst ein Urteil ausstellen, nur um nichtmehr der ungewissen Zukunft ausgesetzt zu sein, die da vor ihm lag.
Ray haderte mit sich selbst. Er hatte gehört, man muss Initiative ergreifen, um das Urteil zu bekommen. Man muss das Gericht aufsuchen, sein Anliegen vortragen und danach wird man vielleicht erhört, wird man vorgelassen und darf es nocheinmal vortragen. Und wieder das unerträgliche Warten während der Zeit der Urteilsfindung. Ray hat schon von Leuten gehört, die sofort wieder weggeschickt wurden, zu offensichtlich war die Lage, als das man ihnen die Grausamkeiten der Urteilsfindung aufzwingen würde. Andere blieben ewig drin, irrten und wirrten, auf der Suche nach dem Zuständigen, verwiesen von A nach Z und zurück.
In einem lichten Augenblick wurde es Ray bewußt: nur er selbst kann die Entscheidung und das Urteil fällen, ja, es wurde von ihm erwartet, das Urteil zu fällen. Niemand kann eines anderen Richter sein, niemand kann all die Umstände beachten, die seine Lage herbeiführten. Niemand kann ihm ein Urteil aufzwängen und damit die Richtung weisen, wenn er selbst sich nicht richten kann. Und Ray richtete.
Das Urteil bestand in einer fast unsichtbaren, unmerklichen Handlung: Ray hob den Blick und schaute jenen brüllenden Monstern entgegen. Suchte den richtigen, denjenigen, welchem er sein Urteil anvertrauen konnte, festentschlossen und bereit für jegliches was kommen mag.
Der Truck kam nach ungefähr 5 Stunden und 1000 Meilen direkt neben Ray zum stehen. Die Tür sprang auf und Ray ergab sich seinem Henker.
Rays Ende fand ungefähr 50 Jahre später statt, verursacht durch irgendein anderes Urteil, möglicherweise das übliche zivilisatorische Leiden wie fettes Essen, schlechte Luft und mangelnde Bewegung. Auf seinem letzten Schein las man nur das schlichte Wort 'Asystolie'.
Er fühlte sich allein. Vor ein paar Tagen wäre er froh gewesen, allein zu sein, doch nun, nachdem die Entscheidung getroffen war, hoffte er nur noch auf irgendeine menschliche Seele, die ihm in seiner Entscheidung bestärken möge. Dieses Warten hatte etwas unerträgliches. Ähnlich müssen sich die Kandidaten in ihren gelben Anzügen fühlen, deren Rücken das Wort 'County Jail' ziert. Aber das war nur die Hoffnung, die er sich gerade zurecht legte, das hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die Leute im Knast waren abgeklärt, wußten ganz genau, was sie erwartete, hatten ihr Urteil in der Hand, wußten wann und wo es vollstreckt wurde und brauchten bis dahin nur die Zeit irgendwie herumbekommen. Jede beliebige Uhr half ihnen dabei, den verbleibenden Rest ihres Lebens einzuschätzen. Der Tag war geregelt, die nächsten drei, vier Jahre geplant. Morgens aufstehen, rasieren, den Wärter mit dem Frühstück erwarten, nach dem Frühstück warten auf das Mittagessen, ein kurzes Nickerchen, ein kurzer Spaziergang, warten auf das Abendessen, warten auf die Nachtruhe, warten auf den Schlaf der nicht kommen wollte, warten und warten. Warten auf Dinge, die da nicht mehr kommen, denn der Mensch gibt die Hoffnung ja nie auf. Hoffnung ist Warten. Für Ray ist Warten Hoffnung.
Dabei war sein Ziel nicht klar, reichte nur bis zum nächsten Schritt: Mit jemanden reden. Jemand, der ihm den Druck in seinem Kopf nehmen und ihm sagen würde, worin das Ziel bestand, denn soweit reichte seine Hoffnung nicht. Er hatte kein Urteil, keinen Zeitpunkt. Er hatte nur das hier und jetzt und musste warten. Warten auf jemanden, dessen Gesicht er nicht kannte, warten auf eine Erklärung, deren Absicht er jetzt noch nicht verstand.
Doch niemand kam.
Nur die Trucks zogen ihre Bahnen, verstärkten in ihm das Gefühl der Ziellosigkeit, indem sie einfach nur vorbeirasten.
Rays Lage schien aussichtslos. Er brauchte das Urteil, konnte nicht leben wie K. - jahrelanges Warten auf das Urteil. Es mit jedem Tag herbeisehnen, ja, wenn es sein musste, selbst ein Urteil ausstellen, nur um nichtmehr der ungewissen Zukunft ausgesetzt zu sein, die da vor ihm lag.
Ray haderte mit sich selbst. Er hatte gehört, man muss Initiative ergreifen, um das Urteil zu bekommen. Man muss das Gericht aufsuchen, sein Anliegen vortragen und danach wird man vielleicht erhört, wird man vorgelassen und darf es nocheinmal vortragen. Und wieder das unerträgliche Warten während der Zeit der Urteilsfindung. Ray hat schon von Leuten gehört, die sofort wieder weggeschickt wurden, zu offensichtlich war die Lage, als das man ihnen die Grausamkeiten der Urteilsfindung aufzwingen würde. Andere blieben ewig drin, irrten und wirrten, auf der Suche nach dem Zuständigen, verwiesen von A nach Z und zurück.
In einem lichten Augenblick wurde es Ray bewußt: nur er selbst kann die Entscheidung und das Urteil fällen, ja, es wurde von ihm erwartet, das Urteil zu fällen. Niemand kann eines anderen Richter sein, niemand kann all die Umstände beachten, die seine Lage herbeiführten. Niemand kann ihm ein Urteil aufzwängen und damit die Richtung weisen, wenn er selbst sich nicht richten kann. Und Ray richtete.
Das Urteil bestand in einer fast unsichtbaren, unmerklichen Handlung: Ray hob den Blick und schaute jenen brüllenden Monstern entgegen. Suchte den richtigen, denjenigen, welchem er sein Urteil anvertrauen konnte, festentschlossen und bereit für jegliches was kommen mag.
Der Truck kam nach ungefähr 5 Stunden und 1000 Meilen direkt neben Ray zum stehen. Die Tür sprang auf und Ray ergab sich seinem Henker.
Rays Ende fand ungefähr 50 Jahre später statt, verursacht durch irgendein anderes Urteil, möglicherweise das übliche zivilisatorische Leiden wie fettes Essen, schlechte Luft und mangelnde Bewegung. Auf seinem letzten Schein las man nur das schlichte Wort 'Asystolie'.