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Keep on trucking

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Montag. Ganz klar ein Montag. Immer wenn Emil an Montagen wach wurde, war ihm ganz bewusst, dass es ein ebensolcher war. Das Gefühl, dass er hatte enttäuschte ihn nie. Mit den anderen sechs Tagen der Woche hatte er so seine Probleme, ein Dienstag konnte sich wie ein Mittwoch anfühlen oder wie ein Sonntag, aber Montag war Montag, egal ob Feiertag oder nicht. Dieses Gefühl, dass heute wieder der einzige Tag wäre, an dem er nichts zu tun haben würde, den er auskosten konnte, an dem er seine Frau, seine Kinder und seinen Hund sehen würde, sich zu Hause in seinem großen Fernsehsessel hinsetzen und den ganzen Tag nichts tun werde. Montag eben.
Wieso er Montag frei hatte wusste er nicht. Er war kein Frisör, er war Kraftfahrer für eine große Spedition und so die ganze Woche in der Weltgeschichte unterwegs, jedoch Montag morgens kam er immer nach Hause um einen Tag die Weltgeschichte Weltgeschichte bleiben zu lassen und im Familienkombi herumzufahren statt in dem sperrigen Lastwagen, den er besser kannte als seine Familie, vielleicht sogar besser als sich selbst, denn er merkte am Geräusch des Motors jeden noch so kleinen Fehler, konnte mit dem Auge sofort zu wenig Druck an den Reifen erkennen - und zwar im Mikrobar-Bereich - und fühlte jeden auch noch so kleinen Bremsenverschleiß durch ein leichtes Antupsen des Pedals. Hatte er jedoch selbst ein gesundheitliches Problem, selbst wenn es sich durch schlimmste Hustenkrämpfe Geltung verschaffte, er ignorierte es. Arbeit, das war ihm wichtig, gerade heutzutage wo man ebensolche enorm schwer bekam und es immer mehr gute Fernfahrer aus dem Osten gab, die seine Arbeit verrichteten und dafür auch noch weniger Lohn verlangten. Er hatte nichts gegen diese Arbeitskräfte, er freute sich für jeden, der einen Job bekam, egal woher dieser kam, geht es doch allen im Moment richtig schlecht, Inflation und so, zumindest sagen sie das immer in den Nachrichten, die er aber immer nur Montags sah, im Wagen hörte er kein Radio, er hörte nur auf das vertraute Brummen des Motors. Oft, wenn er an einer Raststätte halt machte um sich etwas zu trinken zu besorgen und zu tanken hörte er die Musik in den Läden, es kam ihm richtig fremd vor, auch zu Hause kam es ihm oft fremd vor. Kein Brummen des Motors, kein leises Zischen der Luft aus der Klimaanlage, stattdessen Stimmen und Musik und der Duft von Essen, das frisch gemacht wurde. Montag, ein Tag in einer anderen Welt.
Eben an einem solchen Montag klingelte das Telefon. "Emil? Servus. Kurt hier. Ja, Kurt Ebensamer, Personalabteilung. Es fällt mir schwer dir das zu sagen, aber du weißt wir haben harte Zeiten, auch unsere Firma muss sparen und du bist auch nicht mehr der Jüngste. Du musst morgen zur Zentrale kommen, den Laster abgeben. Nein, die Lieferung die du geplant hast, haben wir bereits einem anderen gegeben. Es tut mir leid!" Aufgelegt. Einfach so. Emil war sich nicht sicher, was er denken sollte. "Nicht mehr der Jüngste?" "Den Laster abgeben?" Das war für ihn das zu Hause hergeben, er lebte für, nein, er lebte in seinem Beruf. Sechs Tage die Woche war er zu Hause und Montag war sein Urlaub, jetzt würden sie ihm noch dazu das schöne Gefühl, dass er Montags imemr hatte nehmen, Montag würde ein tag wie jeder andere werden, Wochenanfang, Beginn der zeit in der er nichts zu tun haben würde, sieben Tage lang, nur um dann wieder von einem ebenso leeren und gewöhnlichen Montag wieder sieben tage in Aussicht gestellt zu bekommen, die sich alle gleich anfühlten, gleich leer.
"Schatz, was ist los?" Seine Frau begann ihm die Schultern zu massieren. Er stand noch immer am Telefon, in Gedanken versunken zu Boden blickend. Er griff nach ihrer Hand, streichelte sanft deren Rücken. "Arbeitslos" murmelte er und schüttelte den Kopf. "Heimatlos" dachte er dabei. "Was?" Seine Frau war erschrocken, hatte ihn an den Schultern herumgerissen und sah, jetzt wo sie sich Aug´ in Aug´ gegenüberstanden, dass Emil weinte. "Du bist arbeitslos? Aber warum? Hast du deine Arbeit nicht gut gemacht?" "Abgebaut!" meinte Emil und senkte wieder seinen Kopf. Seine Frau schloss ihn in ihre Arme: "kein Problem Schatz. Erstens bekommst du eine Abfertigung und zweitens hab ich ja auch noch meinen Job. Ich werd halt anfangen ganztags zu arbeiten, weil du ja auf die Kinder aufpassen kannst. Fürs erste bleibst du halt zu Hause!" Zu Hause? Zu Hause war nicht die kleine 4 Zimmer Wohnung mit Bad in der Emil jetzt gerade war. Sein Zuhause brummte, brauchte Benzin und war selten an einem Ort, es war immer in Bewegung. Aber morgen müsste er sein zu Hause abgeben, an einen jüngeren, vielleicht aus dem Osten. Es sind harte Zeiten, man muss es auch den anderen gönnen, jeder hat ein recht auf Arbeit, aber wieso hatte Emil das auf einmal nicht mehr. Seine Frau streichelte ihm den Kopf: "Komm, ich mach dir was zu essen!" Sie ging in die Küche. Emil blieb stehen und begann in seiner Hosentasche mit dem Schlüssel zu seinem LKW zu spielen, bevor er sich seine Mütze aufsetzte - "Keep on trucking" stand ganz stereotyp darauf - und das Haus verließ. Alles was seine Frau noch hörte, während sie das Essen kochte, war das Anlassgeräusch des Motors und die Hupe des LKWs, die Emil beim Wegfahren betätigte.
Mit Tränen in den Augen saß Emil hinterm Steuer, ohne Plan und Ziel fuhr er einfach drauf los, zwei Linkskurven, eine Rechtskurve, hundert Meter geradeaus, schon war er auf der Autobahn. Geschwindigkeitsbegrenzung achtzig für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen war ihm egal. Er holte alles aus dem Wagen heraus, das sich herausholen ließ. Immer dem Straßenverlauf folgend, wie er es gewohnt war. Warum er? Er hatte immer seine Arbeit gemacht und nur einen freien Tag pro Woche gehabt, war immer überpünktlich gewesen und in seiner ganzen Karriere (und immerhin hatte er über zwanzig jahre für die Spedition gearbeitet) nur zwei Strafzettel bekommen. Andere bekommen zwei an eine Tag. Er verstand es nicht. Nahezu wahllos wählte er eine Ausfahrt, kam auf ein Landstraße, "Durchfahrverbot für LKWs" stand auf einem gelben Schild kurz vor der nächsten Ortschaft. Emil fuhr weiter. Er kam durch die Ortschaft hindurch und zog wie wild an seiner Hupe, mächtig erklang er und zeigte allen er war da, er war zu Hause und kam nun zu ihnen, ein letztes Mal vielleicht. Er schien zu schreien: "Seht her, ich bin einer von euch, sie nehmen mir alles was mir etwas bedeutet." Und so beschloss er, nicht mehr umzudrehen, immer weiterzufahren, bis er weit genug wäre, so dass sie ihm nichts mehr wegnehmen konnten.

Montag. Wochenanfang. Ein ausgebrannter Laster wird im Wald gefunden. Darin Emil. Verbrannt, verkohlt, tot. Geraucht, eingeschlafen, die Sitze entzunden, kläglich verbrannt. "Keep on trucking" steht auf der versengten Mütze, schwer zu lesen aber doch. Der Fahrtenschreiber zeigt 698 gefahrene Kilometer an, fast durchgehend mit Höchstgeschwindigkeit.

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NaimED

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