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Frühstück allein

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Als Herr T. and diesem Morgen erwachte und die Läden seines Fensters öffnete, musste er feststellen, dass der Tag, an dem er erwacht war, ein Besonderer war. –Leben spross aus jeder Faser, Vögel flogen und sangen, die Blüten der Frühlingsblumen öffneten sich, die grünen Blätter der Bäume und Sträucher wiegten sich im singenden, streichelnden Wind, die weißen Wolken formten ein Lächeln und zeigten sich als bloße Kleckse am zartblauen Himmel, der von klarem Sonnenlicht erfüllt war. Ein Tag der Götter.
Herr T. wusch und rasierte sich und kleidete sich an, bevor er in die Küche ging, um zu frühstücken. An diesem Morgen saß Herr T. als Mensch unter Göttern am Tisch und es bedrückte ihn nicht, es machte ihn froh. Herr T. war immer ein gewissenhafter Arbeiter gewesen und so gewissenhaft wie er zu arbeiten gepflegt hatte, so gewissenhaft frühstückte er. Die Küche war nie unordentlich, nie war etwas an einem falschen Platz. Wenn Herr T. frühstückte, so zelebrierte er dies nicht als Ritual, denn Herr T. hielt nichts von dergleichen. Nein, er tat es mehr so als erledigte er einen Auftrag seiner Firma – ordentlich, pünktlich und immer zufrieden stellend. Herr T. frühstückte nicht wie ein hergelaufener Morgenmuffel, im Morgenmantel und barfuß. Er saß in Hosen, Strümpfen, Hemd, Krawatte und Pullunder mit Schuhen am Tisch. Er saß gerade und hatte die Zeitung ordentlich gefaltet auf dem Tisch liegen. Herr T. war genügsam und sein erstes Mahl am Tage war so bescheiden wie er selbst. Das machte ihm nichts, denn es reichte ihm vollkommen. Sorgsam schmierte er Butter und Marmelade auf sein Brot. Ohne Hast und nicht zu viel und nicht zu wenig. Hatte er gegessen, schüttete er sich Kaffee ein. Den trank er immer mit einem Schuss Milch beim Lesen der Zeitung. So saß Herr T. Morgen für Morgen am kleinen Tisch seiner Küche und las über die Welt, die hinter den Wänden dieser Küche und hinter dem Glas der Fenster lag. Von Zeit zu Zeit, wenn er einen besonders erschütternden Artikel las, schüttelte er den Kopf, bevor er den nächsten Schluck Kaffee trank. Und so saß Herr T. als Gott unter Göttern am Tisch an diesem Morgen.
Nachdem Herr T. mit dem Lesen der Zeitung fertig war, machte er sich daran, alles wieder an seinen Platz in den Schränken und Schubladen zu stellen. Und wie er mit hochgekrempelten Ärmeln an der Spüle stand, um den Abwasch zu machen, dachte er an den Park mit seinen geschwungenen Wegen, den grünen Wiesen, den schönen Bäumen und den sauberen Teichen, auf denen die Enten schwammen. Herr T. ging gerne in den Park und manchmal brachte er etwas Brot mit sich für die Enten. Nach dem Abwasch zog Herr T. sich seinen Mantel an, setzte den Hut auf und ging in den Park. Der Park zeigte sich in ebensolcher lebensvollen Kraft wie Herr T. es an diesem Morgen schon beim Blick aus dem Fenster empfunden hatte. Und Herr T. freute sich, als er über die geschwungenen Wege ging, vorbei an grünen Wiesen, schönen Bäumen und den sauberen Teichen. Auch heute hatte Herr T. etwas Brot für die Enten. Sie waren begierig und fröhlich. Sie verließen den Teich und watschelten der ausgestreckten Hand entgegen. Als er alles Brot verfüttert hatte, sah Herr T. den Enten zu wie sie ihre Kreise im sauberen Wasser der Teiche zogen oder am Ufer saßen und schliefen. Dabei saß er gerne auf einer Bank am Rande des Weges. Nach einer Weile stand er auf, klopfte seinen Mantel ab und setzte seinen Spaziergang fort.
Der Park war voller Leben in der Natur und Herr T. erfreute sich daran. Und so schritt er als Endlicher durch die Landschaft der Ewigkeit. So kam Herr T. an eine Stelle, wo der Weg sich an einem mächtigen Baum teilte. Er war von stattlicher Größe und sicher auch von hohem Alter. Er stand in seiner Würde wie in seinem grünen Blattwerk. Herr T. erfreute sich an dem Vorbeiziehenden, aber es machte ihn auch traurig. Der Park war ordentlich, sauber und schlicht.
Als Herr T. zurück in seiner Wohnung war, dachte er an die jungen Enten, die bald den Platz ihrer Eltern einnehmen würden, nachdem sie sich neben ihnen behauptet haben würden und er dachte an den alten Baum, dessen Wurzeln in den Weg reichten und dessen Wuchs ihn teilte. Da Herr T. bescheiden und genügsam war, erfreute er sich daran.
Als die Welt am nächsten Morgen erwachte, streifte ein leichter Wind durch die Blätter der Bäume und Sträucher, über die sich öffnenden Blüten der Frühlingsblumen und trug das Lied der Vogel mit sich. Im Park schwammen die kleinen Enten neben den Großen und ein Gärtner, der im Park arbeitete, stellte fest, dass ein alter Baum an einer Weggabelung krank war und gefällt werden musste. Die ordentliche Küche des Herrn T. blieb leer und aufgeräumt.
Und so saß Herr T. an diesem Morgen als Mensch am Tisch der Menschen neben den Göttern.

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Daydreaming

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