Freund meiner Jugend
Jedem Hermann Hesse-Bewunderer sind die vielen deutschen Schriftsteller bekannt, die eine starke Wirkung auf Hesse hatten.
Von Bedeutung waren vor allem die Dichter der Romantik. So auch Friedrich Hölderlin, der Dichter, der zwischen Genie und Wahnsinn wandelte und der in Hesses Werk oft Erwähnung findet.
Hölderlin wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Mit 14 Jahren fing er an, die Gedichte von Schiller und Klopstock zu lesen, in seiner Studienzeit lernte er Hegel und Schelling kennen. In der Zeit der Frühromantik zwischen 1791 und 1805 war er einer der berühmtesten Dichter Deutschlands. Seine ersten Gedichte wurden 1791 im „Musenalmanach“ veröffentlicht. 1794 übersiedelte er nach Jena, wo er Herder und Goethe traf und regelmäßig Gast bei Schiller war. 1795 beschloss der Cotta Verlag, den Roman „Hyperion“ zu veröffentlichen, und im selben Jahr erschienen weitere Schriften in Schillers Zeitschrift „Die Horen“. Zwischen 1795 und 1805 verfasste er verschiedene Stücke, unter anderem das Gedicht „Brot und Wein“ (1800) und Übersetzungen von „Ödipus und Antigone“ (1804). Nachdem er bereits in den Jahren 1802-1804 krank darniederlag, wurde er 1806 in die Heilanstalt Tübingen gebracht. 1808 fiel er in geistige Umnachtung und dämmerte bis zu seinem Tode am 7. Juni 1843 vor sich hin.
Die Ähnlichkeiten zwischen Hesse und Hölderlin sind auffällig. Beide stammten aus Süddeutschland und beide besuchten das Seminar in Maulbronn. Auch die Stadt Tübingen ist für beide von Bedeutung: Hier studierte Hölderlin, Hesse arbeitete bei einer Buchhandlung. Für beide war die Weltanschauung der Romantik prägend, auch wenn beide ihre eigenen Philosophien damit verbanden: Hölderlin durch sein Ideal des Griechentums, Hesse durch seine Faszination für den Osten und seine Reaktion auf den Modernismus.
Die Bedeutung Hölderlins ist überall in Hesses Schriften sichtbar, auch in – dem Uneingeweihten unsichtbaren – Kleinigkeiten. Zum Beispiel findet Isaak von Sinclair, Hölderlins bester Freund, in Hesses Roman „Demian“ Erwähnung. Der amerikanische Hesse-Forscher Theodore Ziolkowski nennt Hölderlin und seinen Roman „Hyperion“ als Vorbild für die dreifache Entwicklung einer Person, die ein Hauptthema in Hesses Romanen ist (siehe Theodore Ziolkowski: The Novels of Hermann Hesse, Kapitel 4: The Triadic Rhythm of Humanization). In seinem Gedicht „Ode an Hölderlin“, das er 1913 schrieb, wendet Hesse sich an das längst verstorbene Vorbild: „Freund meiner Jugend, zu dir kehr ich voll Dankbarkeit/ Manchen Abend zurück…“
Auch in einigen Prosastücken taucht die Person Hölderlins auf. In seiner Erzählung „Im Presselschen Gartenhaus“ (1913) beschreibt Hesse ein Zusammentreffen von Hölderlin, Waiblinger und Mörike, wobei der dargestellte Hölderlin nicht der junge, schöpferische Dichter ist, sondern der ältere, dem Wahnsinn verfallene. Lesenswert auch ist sein Stück „Über Hölderlin“, in dem Hesse jenen „heimlichen Liebling und König der idealistischen Jugend“ lobte.
Wie Novalis, Brentano, und Eichendorff zählt Hölderlin zu den wichtigsten literarischen Vorbildern Hesses. Derjenige, der sich mit dem Dichter Hölderlin beschäftigt, nähert sich unweigerlich auch Hesse. In seinem Stück „Über Hölderlin“ schreibt Hesse folgende Worte über den Dichter, die der heutige Leser durchaus auch über Hesse selbst sagen kann: „…es war vor allem die Person des Dichters, der Hauch von edler Geistigkeit und adligem Übermenschentum, was in dieser Zeit einer tiefen Korruption und eines hoffnungslosen Verkauftseins an materielle Nöte so tief wirkte.“