Hermann-Hesse-Kolloquium

 
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Dürfen Autoren verklemmt sein? Aber sicher doch! Schließlich ist die Zeit nicht allzu fern, in der Dessous nur die „Unaussprechlichen“ genannt wurden. Ist Autoren ein hymnischer Ton zu gönnen, der dann und wann klinisches Vokabular streift? Ganz gewiss, auch dann, wenn Hesses Novelle „Siddhartha“ zur „Klimax des ‚Erkenne Dich selbst'“ emporgehoben wird. Sollen Autoren ihre Belesenheit in den Dienst ihrer Romane und Essays stellen? Ei, warum denn nicht, wenn es der Sache dienlich ist. Und dürfen Autoren auch Nebulöses von sich geben, wenn ihnen zu Hesses „Goldmund“ die Erkenntnis einfällt: „Heimatlosigkeit hat viel mit Wandlung zu tun“? Natürlich muss solches zugestanden werden, insonderheit, wenn zum Auftakt des Internationalen Hesse-Kolloquiums in der Calwer Aula es gilt, einen Vortrag zu halten mit dem Titel „Dichter der Wandlungen – Vom Abenteuer, Hermann Hesses Prosa zu lesen“.

Der Münchner Romanautorin Karin Struck blieb es vorhalten, die ansehnliche Hörergemeinde zu konfrontieren mit dem Abenteuer einer Hesse-Interpretation, die reichlich preisgab von ihrer Urheberin. Ein Satz wie aus der „Gartenlaube“ ist das anrührende Eingeständnis „Ich war Hermann Hesse schon immer gut gesinnt“. Dagegen ist nichts einzuwenden, und ebenfalls nichts gegen die Auffassung, Hesse sei ein erotischer Autor, der Stendhal in nichts nachstehe. Wie die Maßstäbe Struckscher Literaturbeurteilung beschaffen sind, lässt sich ablesen daran, dass Alberto Moravia zum „Antipoden“ von Hesses literarischer Erotik-Bewältigung stilisiert wird, dass Hesse „ein bedeutenderer Erotiker als Henry Miller“ sein soll. Letzterer bekommt gleich mehrfach sein Fett von der erzürnten Hesse-Apologetin Struck ab, ungeachtet der Tatsache, dass Hesse selbst den hohen literarischen Rang Millers anerkannt hat.

Persönliche Animositäten und literaturgeschichtliche Verdrängung mögen die Ursache sein, wenn im Ton der neuen Weinerlichkeit die Klage erhoben wird, so „krude, gemein und brutal“ werde heutzutage Erotik geschildert. Denn merkwürdigerweise verweist Struck auf ihre eigenen Romane, in denen von Augustinus bis Pasolini sich viel Literaturzitate befänden, doch entgangen zu sein scheint dieser Mater dolorosa der Hesse-Verkündigung die sprachliche Direktheit, mit der von Ovid bis Aretino die körperlichen Anteile der Liebe beschrieben werden. Horaz allein – die Präzision des Lateinischen ist auch hierin unübertrefflich – verwendet 23 Ausdrücke für die Verschiedenartigkeit penetrativer Techniken. Apart ist auch Strucks Behauptung, Hesse habe „etwas von einem Surrealisten“.

Die Autorin wundert sich, der Dichter des „Glasperlenspiels“ habe „keine Arbeiter als Protagonisten“ in seinem Werk. Je nun – erstaunlich ist Hesses Verzicht mitnichten. Er schreibt 1936 in einem Brief: „Während meiner Kinder- und Jünglingsjahre war die jüngere Arbeiterschaft in Calw das Übelste, was sich ein Bürger unter Proletariern vorstellen kann, ein richtiges Pack…Ich habe seit damals gefährlichere Formen des Menschentums gesehen, aber nie wieder so häßliche.“

Die Autorin wendet sich zu Recht gegen die esoterische Vereinnahmung Hesses, spricht gleichwohl jedoch von dem „Yin und Yang-Spiel, in dem wir alle stehen“. Tröstlich zu wissen, wie Karin Struck ihre Lektüre betreibt: „Ich lese Hermann Hesse manchmal nur aus der Schriftstellerperspektive.“ Wünschenswert wäre das allemal, auch und gerade für einen Vortrag in des Dichters Heimatstadt.

Sebastian Giebenrath

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