Der mit den Scherben spielt

CALW. Bilder der Aktualität, Themen, die den Leuten auf den Nägeln brennen, seien das wichtigste Merkmal, meint der Züricher Ausstellungsmacher Dr. Hans-Peter Meier-Dallach über seine „WeltFlechtWerk – Die Einheit hinter den Gegensätzen“ betitelte Schau, die jetzt im Calwer Hermann-Hesse-Zentrum installiert wurde. Der Versuch würde damit unternommen, so ließ der Kurator bei einer Pressekonferenz verlauten, aktuelle Themen auf das Werk des Dichters zu beziehen. Dazwischen stehe der Besucher, der sich selbst Fragen stellt. Ausstellungen nämlich – weiß der alerte Künder modisch verfremdeter Hesse-Rezeption – „sind nicht zum Lesen da, sondern zum Herumgehen“. Und dieses kann nun in Calw der Besucher durch neun Räume auch tun, einschließlich eines völlig leeren, weiß ausgeschlagenen „Mittelraumes“, in dem dann und wann ein Brummen ertönt, das ältere Besucher an den unheilkündenden Ton von Bomberschwärmen erinnern wird.

 
Klick zum Vergrößern WeltFlechtWerk in Calw
 

Die zuerst in Berlin gezeigte und dort noch immer laufende Ausstellung, kann – im Gegensatz zu Calw – mit wesentlich mehr Raumvolumen aufwarten und deshalb einen Eindruck erzielen, der zwar auch nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinzureißen vermag, doch immerhin die Opulenz der Weite nutzt. „Wir haben Mut gehabt, Staub aufzuwirbeln“ und „die Resonanz ist polarisiert, weil das Konzept neue Wege geht“, reagiert Meier-Dallach auf die bis dato durchweg unfreundliche Pressekritik, die vor allem jenen Raum als „Laubsägestube des Gedenkens“ abkanzelte, in dem die Besucher runde und eckige, farbige Acrylglastäfelchen mit Texten (nicht von Hesse) auf einen Milchglastisch legen sollen, um so am „Weltperlenspiel“ teilzunehmen. Dem Begleitheft zur Ausstellung darf dazu die Frage entnommen werden: „Wie verteilen sich Scherben und Perlen in Ihrem Leben?“

Diese – um höflich zu bleiben – großzügige Interpretation von Hesses nobilitiertem Meisterwerk „Glasperlenspiel“ und manch andere Kuriosität dieser Ausstellung hatte den weltweit renommierten Hesse-Herausgeber Volker Michels zu einer geharnischten Stellungnahme veranlasst, der Hesses Geburtsstadt vor dem „Schildbürgerstreich“ warnte, das „WeltFlechtWerk“ als Dauerausstellung dem Hermann-Hesse-Museum im zweiten Stock des Schüzschen Hauses voranzustellen.

Calws Oberbürgermeister Werner Spec meinte dazu bei der Pressekonferenz, Michels habe sich „im Vokabular vergriffen“, doch sei dies dem unstreitig verdienstvollen Gestalter des Museums „nachzusehen“. An wortreichen Erklärungen für sein Ausstellungskonzept mangelt es dem Kurator Meier-Dallach beileibe nicht, denn er will „die Texte zum Sprechen bringen“. Zu diesem Zweck hat jeder Raum eine Eingangstafel. So wird im dritten Raum – der eine Anmutung zu Hesses „Unterm Rad“ offeriert – behauptet: „Für Kinder ist einiges möglich, was früher für Jugendliche undenkbar war. Wer in unserer Zeit jung ist, kann Grenzen deshalb drastischer erleben.“ Hätte Meier-Dallach aber einen Blick in das Standardwerk „Geschichte der Kindheit“ von Philippe Ariès geworfen, wäre ihm dieses Missverständnis (wie auch andere in seiner „WeltFlechtWerk“-Schöpfung) kaum unterlaufen. So hat die Ausstellung zwar wenig mit Hesse, aber desto mehr mit der Assoziationsfreude ihres Urhebers zu tun. Wem’s gefällt.

Sebastian Giebenrath

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