Mit den Augen eines Hesse-Freundes

 
 Selbstbildnis des jungen Künstlers
© S. Giebenrath
 

CALW. Großzügigst freigelegte Silikonbusen oder abfällige Kommentare als Pop-Produzent reichen heutzutage schon aus, um zu den Berühmtheiten der Republik gezählt zu werden. Nach wirklicher Leistung, gar nach künstlerischer, wird dabei kaum gefragt. Denn das Dasein als sogenannter Promi ist zumeist nicht mehr als eine Selbstanbetung, die sich durch die entsprechenden Heiligenbildchen in bunten Klatschblättern schon gerechtfertigt fühlt.

Tatsächlichen Berühmtheiten des 20 Jahrhunderts hingegen begegnet ist der Maler, Zeichner und bedeutendste Hesse-Illustrator Gunter Böhmer, dem nun im Gedenken an den 95. Geburtstag in der Calwer Kundenhalle der Sparkasse Pforzheim Calw eine beeindruckende Ausstellung mit über 60 Exponaten gewidmet ist. Zusammen mit dem Galeristen und Grafiker Heiko Rogge hat die Schülerin und Verwalterin des künstlerischen Nachlasses von Böhmer, Susann Rysavy, eine Auswahl an Portraits getroffen, die in ihrer Lebendigkeit und psychologischen Treffsicherheit die jeweils Dargestellten genau erfassen, doch niemals entblößen.

Gunter Böhmer
Geboren am 11. April 1911 in Dresden
Studiert in seiner Heimatstadt Malerei, Graphik und Germanistik.
Begegnung in Berlin mit Max Slevogt.
Wird 1933 von Hermann Hesse nach Montagnola eingeladen. Erste Buchillustrationen für den Verleger Samuel Fischer.
Studien in Italien und Frankreich, Bekanntschaft mit Hans Purrmann und Raoul Dufy. Von 1960 bis 76 Professor an der Kunstakademie Stuttgart. Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. Hermann-Hesse-Medaille, Calw, und Semper-Medaille, Dresden.
Stirbt am 8. Januar 1986 in Lugano.

Die nervöse, mehrschichtige Linienführung, die Gunter Böhmer benutzt hat, um beispielsweise die Erzählung „Unterm Rad“ seines Freundes Hermann Hesse zu illustrieren (derzeit noch zu besichtigen im Hesse-Museum Calw), verwendete der Künstler teilweise auch für andere Portraitaufgaben, wie in dem großen Blatt „Krullmanniana“, das Thomas Mann und dessen Hochstaplerroman von Felix Krull gewidmet ist. Bisweilen, wie in verschiedenen Selbstbildnissen oder einem Konterfei der Diseuse Claire Waldoff, griff er auch zum Verstärkungsmittel der Farbe. Andererseits skizzierte er mit festem, klarem Strich, manchmal bis an die Grenze der Karikatur gehend, etliche der Zelebritäten, die jetzt in Calw bis zum 10. Mai eine Art Ruhmeskabinett bilden.

Neben einigen Schwarz-Weiß-Studien über Hesse und dessen älterer Schwester Adele Gundert finden sich vor allem Künstler der unterschiedlichsten Bereiche in der Ausstellung mit dem Titel „Bildnisse – Begegnungen mit Künstlern“.

Der Poet Ringelnatz und der Komiker Karl Valentin, die bereits von Toulouse-Lautrec verewigte Yvette Guilbert und der Sänger Heinrich Schlusnus, Dirigenten wie Furtwängler, Klemperer und Erich Kleiber, die Maler Slevogt oder Purrmann, der mit Hesse befreundete Schweizer Komponist Othmar Schoeck und Emmy Ball-Hennings, die Frau des ersten Hesse-Biographen Hugo Ball, sind ebenso vertreten wie der renommierte Kulturphilosoph Max Picard oder der – zumindest in seinen Glanzzeiten – auch als Künstler seines Faches geltende Chirurg Ferdinand Sauerbruch.

Eine Reihe Radierungen hat Böhmer Anfang der 30er-Jahre dem Komponisten Justus Hermann Wetzel gewidmet. Die Begegnung mit Hermann Hesse bestimmte über lange Jahre den Lebensweg Böhmers, nicht nur weil er illustratorisch das Werk des Dichterfreundes immer wieder begleitete. So entstanden auch viele Portraits aus dem näheren Umfeld des Literaturnobelpreisträgers, eine zusätzliche Fundgrube für Hesse-Kenner und –Verehrer. In Zusammenarbeit mit der im Besitz der Stadt Calw befindlichen Gunter-Böhmer-Stiftung ist die empfehlenswerte, leider nur recht kurz dauernde Ausstellung entstanden.

Sebastian Giebenrath

Gunter Böhmer „Bildnisse – Begegnungen mit Künstlern“
Kundenhalle der Sparkasse Pforzheim Calw in Calw
Bis 10. Mai, geöffnet während der Geschäftszeiten.
www.sparkasse-pforzheim-calw.de

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