Von der Anziehung entgegengesetzter Pole

Der Saal des Hermann-Hesse-Museums geriet an seine Kapazitätsgrenze. An die 100 Besucher wollten den Vortrag von Hesse-Herausgeber Volker Michels über die Beziehung von Thomas Mann und Hermann Hesse hören. Volker Hill umrahmte die Veranstaltung mit Klavierstücken der von beiden Dichtern geschätzten Komponisten Schubert und Chopin. Anschließend eröffnete Herbert Schnierle-Lutz die von ihm im zweiten Stock des Museums eingerichtete Dokumentation zur Freundschaft der beiden Literaturnobelpreisträger.

 
 Hesse und Mann im Februar 1932
 

Die Erwartungen der Besucher wurden nicht enttäuscht. In einem ebenso unterhaltsamen wie informativen Vortrag gab Volker Michels einen Überblick über die Werke der beiden Dichter mit ihren Verschiedenheiten und Berührungspunkten, um dann die Entwicklung der kollegialen Beziehung darzustellen, die schließlich in eine Freundschaft mündete.

Die Wertschätzung Thomas Manns für Hermann Hesse veranschaulichte Volker Michels mit einer kleinen amüsanten Anekdote, die der Schweizer Literaturkritiker Otto Basler überliefert hat: Dieser hatte 1950 Thomas Mann in sein Haus in Aargau eingeladen und an der Haustüre mit den Worten empfangen: „Noch kein besserer Mann ist je über diese Schwelle getreten.“ Da habe Thomas Mann den Fuß von der Schwelle wieder zurückgezogen und habe gefragt: „Aber sagen Sie, lieber Freund, ist nicht Hermann Hesse neulich bei Ihnen im Haus zu Besuch gewesen?“ – „Ja, das schon, aber er betrat das Haus von der anderen Seite“, antwortete Otto Basler. Erst nachdem sein Freund Hermann Hesse solchermaßen ebenfalls gewürdigt war, betrat Thomas Mann munter und verschmitzt lächelnd das Haus.

Solche Freundschaften zwischen bedeutenden Schriftstellern seien nicht allzu häufig, führte Volker Michels aus. Oft stünden Konkurrenzgefühle im Wege. Bei dem auf Öffentlichkeitswirksamkeit bedachten Großbürger Thomas Mann und eher asketisch zurückgezogenen Außenseiter Hermann Hesse sei die Basis des Zueinanderfindes gewesen, dass sie ihre Stärken und Talente auf verschiedenen Gebieten hatten und solchermaßen den Anderen in seiner Eigenart respektieren und auch bewundern konnten.

 
 Hesse und Mann um 1947
 

Gleichzeitig gibt es aber auch erstaunliche inhaltliche Berührungspunkte zwischen ihren Werken, die Volker Michels in seinem Vortrag benannte und die auch in der kleinen Ausstellung von Herbert Schnierle-Lutz in einer Virtrine unter dem Stichwort „Wahlverwandtschaften“ veranschaulicht sind:
„Unter meiner literarischen Generation habe ich Hesse früh als den mir Nächsten und Liebsten erwählt und sein Wachstum mit einer Sympathie begleitet, die aus Verschiedenheiten so gut ihre Nahrung zog wie aus Ähnlichkeiten. Manches von Hesse lese ich, als sei es ein Stück von mir“, notierte Thomas Mann einmal. Und als er Hermann Hesses Alterswerk „Das Glasperlenspiel“ las, schrieb er diesem: „Ich liebe die ernste Verspieltheit, in der es lebt, sie ist mir heimatlich vertraut. […] Bestürzung war auch unter den Gefühlen, mit denen ich das Werk las, – über eine Nähe und Verwandtschaft, die mich nicht zum ersten Mal beeindruckt.“ Und er zieht Vergleiche zu seinem damals gerade entstehenden Roman „Dr. Faustus“: „Man kann sich nichts Verschiedeneres denken und dabei ist die Ähnlichkeit frappant – wie das unter Brüdern so vorkommt. –“

Die Anziehung entgegengesetzter Pole war das Geheimnis ihrer Freundschaft. Hermann Hesse hat das in seinem Glückwunschschreiben zu Thomas Manns 80. Geburtstag 1955 so formuliert: „Sie wissen, lieber Thomas Mann, daß ich von jeher ein Verehrer von der Bipolarität alles Lebendigen gewesen bin und daß, wo ich liebte und mich angezogen fühlte, es immer wieder die Widersprüchlichkeit und Zweiseelenhaftigkeit war, die mich anzog und gewann. So ist es mir auch mit Ihnen ergangen.“

Information:
Die Ausstellung „Hermann Hesse und Thomas Mann. Dokumentation einer Freundschaft“ ist bis Mitte August im Hesse-Museum zu sehen. Sie ist auch in Heftform im Museum erhältlich. Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Hermann Hesse ist in Buchform erschienen und im Museumsshop sowie im Buchhandel erhältlich.

Autor:in

timo

Gründer und Betreiber von hhesse.de seit 1998

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