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Paradox

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Es war Freitag als Tim zu mir kam: „Ich hab den Krebs besiegt! Das rosa Vieh steckt jetzt in einem Topf voller kochenden Wasser. Lebend kommt er rein, tot hinaus, ist doch so ähnlich wie im Prater.“ Er unterdrückte ein Grinsen, er wollte wohl meine Reaktion abwarten. „Über so etwas macht man keine Scherze.“ „Ach, papperlapapp, ich mach Scherze worüber ich will und ich finde der im heißen Wasser kochende Krebs ist eine gute Metapher.“ „Erstens ist das ein Hummer, kein Krebs, zweitens, ach lassen wir das. Wann wird er fertig sein.“ „Fertig war er schon!“ „Bitte was soll das denn heißen?“ „Naja, zusammenbauen musst ich ihn nicht mehr!“ Wieder erwartete er meine Reaktion: „Weißt du, der hat schon so einen Bart!“ „Was, der Hummer?“ „Nein, der Witz!“ „Ach du hast einfach keinen Humor!“ „Durchaus hab ich einen, nur ist er mit deinem nicht konträr.“ „Ach, das tangiert mich nur peripher. Siehst du, ich kann auch Fremdwörter benutzen.“ „Ja, aber einen Hummer nicht von einem Krebs unterscheiden. Und überhaupt, hast du nicht eine Allergie gegen Schalentiere?“ „Na und, du hast doch Ausbildung zum Sanitäter gemacht, du wirst mir schon helfen können.“ „Wie? Soll ich dir, wenn die allergische Reaktion einsetzt einen Schuss Adrenalin verpassen? Ich kann und darf keine Spritzen setzen, außerdem bezweifle ich, dass du hier irgendwo eine Adrenalin – Infusion herumliegen hast.“ „Ach, wenn ich in Ohnmacht falle, wirst du schon genug Adrenalin produzieren um mir etwas abzugeben.“ „Du bist ein Idiot! Wieso kochst du das arme Vieh, wenn du es ja sowieso nicht essen darfst?“ „Er wollte mir nicht glauben, dass ich’s übers Herz bringe. Ha, das hat er nun davon der ungläubige Thomas.“ „Was musstest du dem Hummer überhaupt einen Namen geben, jetzt ist es als würdest du eine Persönlichkeit töten.“ „Ja, und?“ „Na ich meine nur...“ Resignation.
„Ich stelle mir doch nicht vor einen Menschen zu töten, es ist doch nur ein dummes Tier!“ „Der Mensch ist auch nicht mehr als ein kluges Tier. Denkst du nicht, dass Tiere genauso Lebewesen sind und unseren Respekt verdienen?“ „Wird jetzt ein Vegetarier aus dir?“ „Nein, so weit kommt es noch, ich mein nur, du kannst ein Tier doch nicht so abwertend behandeln, es fühlt genauso Schmerzen wie du.“ „Du bist und bleibst ein Weltverbesserer und Nörgler. Obwohl so viel unterscheidet die beiden ja nicht.“ „Den Menschen und den Hummer?“ „Nein, den Weltverbesserer und den Nörgler. Sieh dich an! Egal was in der Welt passiert, du gibst deinen Senf dazu. Du bist wie ein Sportkommentator, der das große Spiel: „Mensch gegen sich selbst und alles andere“ moderiert. Aber eingreifen kannst und willst du nicht. Dir fehlt die Courage.“ „He, entschuldige, ich sage nur, dass ich es nicht gut finde, dass du den Hummer auf brutalste Weise umbringst, obwohl du ihn sowieso nicht essen wirst!“ „Das ist meine Sache!“ „Nein, verdammt, das ist Tierquälerei!“ „Ach, das ist so ein flexibler Begriff. Demnach ist es auch Tierquälerei, wenn du durch eine Wiese gehst und eine Ameise tottrampelst.“ „Ich mache das doch nicht mit Absicht.“ „Das sagen sie alle.“ Denkpause.
Was will der Kerl von mir, will er aus mir rauspressen, dass ich ein Tierquäler bin? Also mal ganz unter uns: Der Typ spinnt.
„Schau mal, der Hummer dürfte fertig gekocht sein. Willst du ein Stück?“ „Nein, verdammt, ich mag keinen Hummer.“ „Dafür setzt du dich ganz schön für ihn ein.“ „Ich mag sie nicht als Speise.“ „Na gut, dann schmeiß ich ihn weg!“ „Was?! Wieso?!“ Na, ich hab doch eine Schalentierallergie.“ „Ja, aber dann frag doch deine Nachbarn.“ „Die mag ich nicht!“ „Was ist mit deiner Freundin?“ „Die mag keinen Hummer. Außerdem bis sie kommt ist der sowieso schon wieder kalt.“ „Na dann schieb ihn doch in die Mikrowelle.“ „So etwas Grausames! Und du willst Weltverbesserer sein?“ „Ich bin kein Weltverbesserer.!“ „Aber dafür ein Nörgler!“ „Echt, ich ertrag das nicht mehr. Stell dir vor einer nimmt dich und steckt dich bei lebendigem Leibe in brodelndes Wasser.“ „Ja, ein Whirlpool!“ „Bei 100 Grad aufwärts. Zeig mit, dass du das angenehm findest, wenn deine Haut verbrennt und sich schließlich von deinem inzwischen ebenfalls kochendem Fleisch löst.“ „Ja, aber das würde doch keiner mit mir machen!“ „Das hat sicherlich auch der Hummer gedacht.“ Stille.
„Ein Hummer kann nicht denken.“ „Kannst du es? Du tust es doch einfach nur, wie es funktioniert weißt du nicht.“ „Na, sicher weiß ich das, die Nerven melden, äh, nein, warte, die Neuronen...verarbeiten, äh, gut ich weiß es vielleicht nicht, aber weißt du es?“ „Nein, aber ich rede auch nicht so klugscheißerisch daher!“ „Ach nein?“ „Was? Willst du mir jetzt vorwerfen, ich sein ein Klugscheißer?“ „Ja!“ „Also, das ist doch die Höhe. Ich kritisiere dein Verhalten gegenüber dem Hummer und du nennst mich einen Klugscheißer, das ist doch die Höhe! Von Vernunft hast du wohl noch nie etwas gehört!“ „Siehst du, du tust es schon wieder!“ „Aber ich will es dir doch nur erklären.“ „Nein, du willst dich profilieren, willst mir meine Unterlegenheit zeigen und bemerkst dabei nicht, dass du dir selbst unterlegen bist. Oder handelst du immer richtig?“ „Nein, richtig kann man auch nicht so einfach definieren!“ „Na also, was war dann falsch an meinem Verhalten, wenn du nicht weißt, ob es vielleicht doch richtig war, denn du kannst richtig nicht definieren und somit auch nicht falsch!“ „Aber du hast ein unschuldiges Tier ohne Grund getötet!“ „Vielleicht war das seine Bestimmung!“ „Ja, sicher, dieser Hummer kam nur auf die Welt um in deinem Kochtopf zu landen und dann in deinem Mistkübel.“ „Beweis mir das Gegenteil!“ „Das kann ich nicht, wie sollte das denn gehen?“ „Eben und eine Annahme gilt solange als richtig, bis sie widerlegt wird. Aber du kannst meine Annahme über die Bestimmung des Hummers nicht widerlegen, somit ist sie fürs erste richtig.“ „Aber man kann richtig nicht definieren!“ „Hmm, sagen wir subjektiv richtig.“ „Aber ein Leben auszulöschen ist falsch!“ „Wie kannst du falsch in diesem Fall definieren?“ „Das ist gesunder Menschenverstand.“ „Naja, ist es wirklich gesund jemanden nicht zu töten, wenn er einen bedroht?“ „Aber der Hummer hat dich nicht bedroht!“ „Doch, ich habe ihn für einen Krebs gehalten!“

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NaimED

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