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In der Ubahn

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Die Ubahn, die ich täglich benutze, ist ein Schauplatz voller lustiger, tragischer Ereignisse. Sobald man sich die Zeit und Fantasie nimmt, diese absurden und komischen Schauspiele für sich zu entdecken. Ich stieg gerade in die U9 in Richtung „Rathaus Steglitz“ ein und suchte einen mir bequemen, freien Sitzplatz. Ahh, fuck, Scheisse ist das. Ich stieg gerade ein und wollte mich hinsetzen; am Liebsten auf einen Eckplatz, sodass ich mich anlehnen konnte beim gelegentlichen Eindösen. Ich fand nach kürzerem Suchen einen freien Sitz, doch auf dieser lag die heutige Ausgabe des Berliner Kuriers. Ich nahm die Zeitung in die Hand, setzte mich hin und breitete die Zeitung genüsslich vor mir aus. Viel stand nicht drin und das was drin stand, war nicht von Belang. Ich merkte schon beim Überfliegen der Zeitung, dass meine Mitfahrer an der Schlagzeile „Dackel Waldi ist nun Waise“ reges Interesse zeigten. Vielleicht war es aber auch die Zeile drunter, die da lautete: „ SUPER-HIV aus USA: Müssen wir alle sterben?“ Oder war es die halbnackte Lydia, die auf den Schreiner wartete, damit der endlich mal ihr zeigt, wo der Hammer hängt? Keine Ahnung. Voller Desinteresse legte ich die Zeitung zwei Sitzplätze weiter von mir weg. Nun. Ich beobachtete die Menschen. Sie beäugten sich gegenseitig und dann mich. „UIUIUIUIUI, warum legt denn der Türke den Berliner Kurier weg?“ hätte als Denkblase über den Köpfen meiner Mitfahrer stehen können. Manch einer hat es als Statement verstanden: „Den Scheiss lese ich nicht.“ Hoffte ich zumindest. Verdutzte Blicke untereinander.
Nun denn. So langsam ahnten die Mitfahrer, dass es nicht meine Zeitung ist, die ich da weggelegt hatte. Die etwas ältere Dame, die einen Sitzplatz neben der Zeitung saß, warf ab und zu einen erhaschenden Blick auf die Zeitung und bildlich nahm sie sich auch die Zeitung. Doch nur in meinem Kopf. In der Realität blieb es bei dem Blick. Der Mann der gegenüber der Zeitung saß, musste seinen Kopf etwas neigen, um Lydia und ihr Problem erörten zu können. Wirklich intelligent würde seine Körperhaltung auch nicht aussehen, wenn da eine SZ vor ihm liegen würde. An der nächsten Haltestelle stiegen nun überdurchschnittlich viele Leute ein und schnell wurden die Sitzmöglichkeiten rar und somit kam es auch, dass die Zeitung nun unnötiger Ballast wurde. Eine Frau, mitte Dreißig, vom Aussehen zu beurteilen, Tagesspiegel-Leserin, nahm die Zeitung in die Hand und setzte sich. Meine Mitfahrer aus Akt 1 schauten mich an mit einem Blick, der aus lauter Fragen bestand: anders gesagt die pure Dummheit war in ihre Gesichter gemeißelt. Ich nahm diese Blicke zur Kenntnis und lachte innerlich, doch äußerlich war ich Mister Cool. Badabangbadaboom.
Die Frau mit der Zeitung las dieselbe nicht. Sie hielt sie nur fest. Leider musste sie schon an der nächsten Haltestelle unser kleines darstellendes Spiel verlassen. Ich achtete darauf, was mit der Zeitung passieren würde. Würde sie den frühen, noch halbungelesenen Tod am Morgen sterben oder gab es noch eine Rettung der Menschheit vor soviel Dummheit gebannt auf Papier? Nein und nein. Sie legte sie, wie es sich laut UBAhn-Etiquette gehörte dorthin, wo sie sie entnommen hatte. Sie war weg. Und sie war da. Leider musste der männliche Protagonist aus Akt 1 uns auch verlassen. Somit blieb nur noch die etwas ältere Dame im Spiel um die Zeitung, die neu hinzugestiegenen zeigten sichtlich kein Interesse an der Zeitung. Auf solch eine Pracht-Omi hätte ich gut und gern 5 Euro gesetzt, dass sie als nächste Person die Zeitung sich ergreift und ihre Unwissenheit weiterhin kultiviert. Doch alles kam anders. Eine neu hinzugestiegene Frau mitte 20, der Traumleser eines jeden Schundblattschefredakteurs, steuerte wie ferngesteuert auf den Sitzplatz mit dem Berliner Kurier zu, nahm die Zeitung, presste ihre Leggings in den Sitz und begann in die Zeitung zu schauen. Zu schauen. Ja, zu schauen. Ich meine, in Deutschland gibt es ca. 800.000 Analphabeten und sie musste es sein. Wenn nicht sie, wer dann. Wer liest bleibt dumm und wer nicht liest bleibt dümmer. Ich als Initiator dieses kleinen, perversen Spiels indem ich mich wie Gott gefühlt habe über diese Zeitung und die Fragen der Menschen und über die Menschen musste leider aussteigen. Denn ich war angekommen. Leider....

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memo

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