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Handelskai

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„Ich will wieder auf See!“ meinte der Mann zu mir, er durfte Mitte vierzig gewesen sein und sah richtig seemännisch aus. Blonde Haare unter einer schwarzen Wollmütze, dazu sein blonder Bart und sein leichter Akzent, an dem man sofort erkannte, dass er wohl aus dem norddeutschen Raum kommen dürfte. Sehnsuchtsvoll blickte er von der Reichsbrücke herab auf die Donau: „Jaja, das schwarze Meer. Wissen sie wie schön es an der Mündung der Donau ins schwarze Meer ist? Ich habe diese Stelle immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge durchfahren, einerseits kam ich wieder zu meiner großen Liebe, dem Meer, einerseits musste ich den schönsten Flusslauf Europas verlassen. Ich bin auf vielen Flüssen gefahren, aber nie war es so schön wie dem Lauf der Donau zu folgen. Ich weiß nicht warum, sie hatte immer eine besondere Anziehung auf mich ausgeübt.“ Eine Träne schien ihm die Wange herunterzutropfen. Er zog den Kragen seiner Jacke etwas weiter hoch, als ob ihm kalt geworden wäre. „Aber diese Zeiten sind vorbei. Seit ich auf meinem linken Auge nichts mehr sehe, bin ich nahezu untauglich für die See. Früher war das anders, wissen sie? Alle großen Piratenkapitäne haben wir als Krüppel, mit Holzbeinen, Augenklappen und Haken anstelle einer Hand in Erinnerung. Sie waren die Schrecken der Weltmeere und der ihrer Mannschaften, obwohl sie wohl besser in einen Rollstuhl gepasst hätten. Obwohl man auch sagen muss, dass die Wirklichkeit eher anders aussah. Natürlich gab es auch Kapitäne, die diesem Bild nahe kamen, aber die machten eher einen kleinen Teil aus. Ahoi!“, er unterbrach seine Erzählung um eine, Passagierschiff zuzuwinken, die Sehnsucht erfasste wieder seinen Blick: „Ich würde sogar Kellner an Bord eines solchen Reisekahns spielen um wieder auf See sein zu können, ja sogar sämtliche Decks auf einem dieser modernen Reisekreuzer schrubben, ganz alleine, nur um die Aussicht von der Reling wieder zu haben, vor allem am Morgen, wenn die Sonne am Horizont aufgeht. Alle ist dann in ein mildes Licht getaucht und man erkennt, dass etwas neu beginnt. Jeder Tag auf See ist ein neuer Anfang. Hier, an Land, lebt man einen Tag wie den anderen. Nichts verändert sich, außer vielleicht der Fahrplan der Züge.“
Genau das war auch der Grund warum ich hier stand. Der Fahrplan war geändert worden und die Schnellbahn würde erst in einer halben Stunde kommen. Ich wollte also den Ausblick auf die Donau genießen und hatte mich neben den Matrosen gestellt, der einfach zu erzählen begann, als würde er mit sich selbst reden.
Er hatte inzwischen seinen Mantel zugeknöpft, immer mehr bekam ich das Gefühl, ihm sei kalt, aber mitten im Juli? „An solchen Tagen wie heute erinnere ich mich oft zurück an Afrika, an den Nil, die Geschichten, die unser Kapitän uns damals von den alten Ägyptern erzählte, von Kleopatra und Cäsar, von Amun, von Toth, Anubis, Isis und wie sie alle hießen. Mein Kapitän war ein verdammt gebildeter Mann und wusste über jedes Land und jeden Fluss bescheid und kannte tausend Geschichten. Nur in Ägypten bekam er eine Krankheit die niemand kannte, auch er selbst nicht und starb an dieser. Ein Nachfolger musste gewählt werden und aus irgendeinem Grund wurde ich das. Ich hatte bei weitem nicht die meiste Erfahrung, weder im Umgang mit dem Schiff noch mit der Mannschaft, aber die Mannschaft entschied sich für mich. Selbst als wir wieder zu Hause im Hamburger Hafen waren und unsere Rückkehr auf der Reeperbahn feierten, wollte mir keiner sagen, warum sie für mich gestimmt hatten. „Du bist nun mal Kapitän, Sven“, meinte ein jeder einzelne von ihnen und setzte dabei ein breites Grinsen auf.“ Der Anflug von einem Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit und auch seine Augen schienen klarer zu werden. Er knöpfte den Mantel wieder auf und auch seine Stimme schien wieder fester zu werden: „Von da an unterhielt ich meine Mannschaft mit Shantys und Geschichten über Schatzinseln und Piraten, von schönen Meerjungfrauen und Prinzen, von Matrosen, Stürmen und glücklicher Heimkehr und bald war ich einer der berühmtesten Kapitäne auf den sieben Weltmeeren und jedem kleinen See den es gibt. Jeder wollte unter mir Matrose sein und meine berühmten Erzählungen hören, ja sogar Menschen aus fremden Ländern, die mich gar nicht verstanden, kamen aus ihrer Heimat nach Hamburg, heuerten an und hörten mir zu, alle waren sie begeistert.“ Sein Gesicht schien lebendiger zu werden, sein Bart wurde nun wirklich gelb, statt dem Blassblond, das er vorher hatte und auch aus seiner Haut wich die Blässe. „Ich war der König der Erzähler, der Orpheus der Geschichten. Aber vor allem war ich glücklich!“ Mit einem Schlag setzte die Veränderung aus und er sah wieder aus wie ganz am Anfang. „Doch dann passierte dieses verdammeledeite Malheur. Nichtsahnend nahm ich einen Auftrag an von einem Mann, der mir schon einige Male zugehört hatte. Er meinte, dass er ein Schiff habe, das dringend nach Norwegen gebracht werden müsse. Er wünschte sich mich als Kapitän, weil er wusste, wie beliebt ich war. Ich hätte wohl skeptisch werden sollen, aber auch der hohe Lohn, den er mir anbot, brachte mich dazu, den Auftrag zu übernehmen. Also brach ich auf nach Norwegen, mit einem riesigen Öltanker. Was ich damals nicht wusste war, dass der neben dem Öl nuch Plutoniumstäbe geladen hatte, die zur Endverwertung nach Norwegen gebracht werden sollten. Weiters wusste ich auch nicht, dass ich mein Ziel nie erreichen sollte.
Zwei Tage nachdem wir aufgebrochen waren, setzte auf einmal die Steuerung aus. Ich dachte anfangs an einen der üblichen Defekte am Ruder und schickte einen meiner Männer los, den Defekt zu beheben. Er kam früher als erwartet zu mir in die Kabine, sichtlich erregt: „Käpt´n, es dringt Wasser ins Schiff. Irgendwie ist ein Loch in der Laderaumwand entstanden und durch das dringt jetzt Wasser ein. Verdammt viel Wasser!“ Ich war entsetzt, wie konnte das geschehen, ich war nirgendwo angefahren und bei unserer Abfahrt war das Schiff noch intakt. Nun gut, ein guter Kapitän geht mit seinem Schiff unter, egal aus welchem Grund es sinkt. Ich stellte mich also an die Reling und wollte noch einmal den Sonnenuntergang über dem Meer miterleben, als mich einer der Matrosen plötzlich von hinten packte und mich ins Meer hinabzog: „Los Käpt´n, die anderen warten unten in einem Boot.“ Ich wollte ihm noch ausführlich erklären, dass ich so etwas schon alleine, weil es mir meine Ehre verbietet nicht machen wollte, aber es war zu spät. Wir waren bereits ins Wasser eingetaucht und eh ich mich versah zog mich der Rest der Mannschaft in ein kleines Rettungsboot.
Wir trieben zurück nach Deutschland, wo wir bereits erwartet wurden, von tausenden Greenpeaceaktivisten und Umweltschützern, die anscheinend nicht sehr erfreut über unsere Rückkehr waren. Sie hatten Transparente mit wüsten Beschimpfungen aufgespannt, manche hatte sich als Robben oder Enten verkleidet, deren Fell oder Federn mit Öl verschmiert war. Als wir an Land kamen warfen sie mit Steinen nach uns, bezeichneten uns als Verbrecher, obwohl wir doch absolut unschuldig waren. Einer der Matrosen hing die ganze Zeit an seinem Handy, er schien mit jemandem zu telefonieren. Anfangs dachte ich, dass es vielleicht seine Frau wäre, weil er den Vorfall schilderte, doch als ich mehr und mehr Wortfetzen aus dem Gespräch verstand, wurde mir klar was hier gespielt wurde. Ich riss ihm das Mobiltelefon aus der Hand und fragte ihn, wieso er all dies wisse und was hier gespielt wurde. Er erzählte mir alles, von dem geplanten Versenken des Schiffes, nicht des Öles sondern der Brennstäbe wegen, von unserem Auftraggeber, der das alles in Planung gegeben hatte und von der kleinen Bombe, die das Loch in die Außenwand gerissen hatte. Zu sagen, dass ich wütend geworden wäre, wäre eine Untertreibung, ich wollte ihm an die Gurgel, wollte unserem Auftraggeber an die Gurgel, aber entschloss mich dann doch, ein Taxi nach Hause zu nehmen. Ich musste mich durch die Riesenmenge an Umweltschützern kämpfen, die mich nicht durchlassen, sondern zur Rede stellen wollten. Ich versuchte ihnen zu erklären, was passiert sei, aber statt mich ausreden zu lassen, bewarfen sie mich mit faulem Obst. Eine Tomate traf mich am Auge, sofort begann es zu schmerzen, irgendwelche Bakterien hatten mein Auge angegriffen. Ich verlor das Augenlicht auf diesem Auge noch in der selben Woche und in der Woche darauf, trat ich von meinem Posten zurück. Dann kam ich nach Wien um hier ein Landrattenleben zu führen. Aber es zieht mich doch noch hinaus. Ich will wieder auf See!“
In diesem Moment kam der Zug, der Mann warf noch einen letzten, schmerzvollen Blick auf die Donau und stieg ein. Auch ich stieg zu, mir die Geschichte des Kapitäns noch einmal durch den Kopf gehen lassend.
Noch einige Male sah ich den Kapitän an der Brüstung der Brücke stehen, doch ich gesellte mich nicht mehr hinzu. Eines Tages stand er dann einfach nicht mehr da, ich dachte, er würde sich umgebracht haben, ertränkt, oder er wäre es einfach satt geworden sich jeden Tag die Donau anzusehen und in schmerzhaften Erinnerungen zu schwelgen.
Eines Tages, ich hatte wieder einmal zu viel Zeit, stand ich wieder an der Brücke, als ich unter mir auf dem Fluss ein orange – weißes Tretboot entdeckte. „Ein Tretboot auf der Donau“, war mein erster Gedanke, „welcher Verrückte fährt mit einem Tretboot auf der Donau?“ Ich kannte den Verrückten. Er hatte eine schwarze Wollmütze auf und trug einen grauen Pullover. Sein blonder Bart glänzte bis in den Himmel hinauf. Er schien mich zu erkennen, denn er winkte mir zu: „Sehen sie, ich bin wieder auf See! Ich mag fast blind sein, aber beim Kabautermann, ich hab noch immer zwei gesunde Füße und Salzwasser im Blut.“
Wie war er an das Boot gekommen? Auf jeden Fall hatte er einiges an Proviant geladen, den er an der Heckseite, da wo normalerweise die Damen ohne Oberteil liegen um sich zu sonnen, verstaut hatte. „Ich bin wieder auf See!“ rief er mir zu winkte noch ein letztes Mal, begann ein Shanty zu pfeifen und verschwand aus meinem Blickfeld. SO ein verrückter Kerl, beim Kabautermann!


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NaimED

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