Brief an UNDINE
Wilhelm Fink an Undine
Ich halte eine Karte in den Händen. Sie zeigt eine Brücke, die in Baden-Baden die Oos überspannt. Diese Brücke läßt an eine ausgestreckte Hand denken und an den Brückenschlag. Immer wieder suchen und wagen wir ihn.
Wie oft tragen wir Erwartungen mit uns herum. Wie spät treten wir in den Raum der Wahrheit ein. Wie bringen wir »uns« unseren Mitmenschen entgegen? Es entfalten sich Muster. Wie blättern sich eingeschlossene Knospen auf? Prägungen sind da, die beachtet sein wollen. Aber auch für sie gibt es die Umschmelzung, die Verwandlung.
Schmeichelnd mag Ihnen meine Stimme erscheinen, Undine, und sie ist es auch. Ich wünsche mir eine Engelszunge, die Stein durchdringt und das Harte mürbe macht. Mürbe und aufnahmebereit. Aber auch Wasser möchte ich aus dem Fels schlagen, einen Quell, der die Sandwüste feuchtet. Wie schmerzvoll kann es sein, bis jemand etwas hergibt.
Wenn man sich jahrelang über andere Texte gebeugt hat, so kommt man an eine Grenze. Alles Wünschen und alles Leben stößt sich immer wieder die Nase. Bin ich nicht allzuoft erpicht, wenn ich das Fremde an mich heranziehe, es beschreibe, bewerte: mich meinerseits in Szene zu setzen?
Aber es ist anders. Ich nehme die Gestalt meines Gegenüber an. Ich bin nur "Mundstück". Allerdings spricht sich, (wenn ich mich als das "Zweite" ganz klein mache), nicht das "Erste", nämlich mein Gegenüber, sondern EIN DRITTES aus. Das ist magisch. Eine Tür öffnet sich, oder Wände fallen und Hecken, Gebüsch, Unterholz im Wald werden mühelos durchschritten.
Kein Ich ist es, das gebieterisch ein anderes Ich zu sich heranruft. Ein Bote bin ich, der vorübergeht. Ich bleibe nicht bei den Pflanzstöcken, ich berühre sie nur mit dem Wachstumsstab. Hingabe nicht an mich, sondern an ein »es« - dazu rufe ich auf. Als Kind der schön geordneten Welt trägt ein jeder die Energien des Lichts und die Muster der gestaltschaffenden Kräfte in sich.
Was mich bewegt, ist immer die Annäherung an ein Talent, an ein Naturell, aber auch das Einschwingen in die Aura um dieses Menschenkind, zum Beispiel Sie, Undine. Sie beugen sich vor.
Sie beugen sich vor, Ihr weiblicher Leib hat jetzt diesen Charme der Frau. Sie rauchen dabei, Kräusel steigen auf, und die Unruhe im Fuß läßt Sie die dichte kurzhaarige Wolle des Tibetteppichs fühlen. Ihr Blick geht hinüber über Baumkronen zum Klostergarten. Heben und Senken der Brust sind das Atmen und Weiterdenken der Gedanken.
Erwartungen, die wir hegen, entlaufen dem Gehege so schnell. Ansprüche: Wer will ihnen genügen? Ein Wunder ist uns nicht zu Willen, sondern was uns trifft in der Punktgenauigkeit des uns Bestimmten, ist allem Wählen und Wollen entzogen.
Im tiefen Winter hoch oben am Mummelsee, auf dem sich im Sommer die Teichrosen drängen: über die verschneite Fläche gehen und an den denken, der raunt und flüstert. Der Sie beschwört, Undine, auf Zehenspitzen zu stehen und im Glück der Sehnsucht das Glück herauszufordern: mit zum Schlitz zusammengezogenen Augen gerade noch die letzte, die äußerste Grenze des Lichts zu erblicken.
Es gibt den schnellen Lauf durch den Irrgarten. Diese Hast im Labyrinth, sie zeigt die Sehnsucht, anzukommen, hinzugelangen, aus den Umwegen heraus ins Ziel zu treffen. Gedankenwege, sie können manchmal gar nicht anders als winkelig, sprunghaft, fliegend sein. Die Sprache hat Prozeßcharakter. Sie drängt nach vorn. Sie will nicht ruhen, sondern sich öffnen und sich entfalten. Unser "Leben und Weben" ist von Sprache durchwirkt. Aus fernen Tagen der langen Wintergespräche in Höhlen wachsen uns Wünsche, strömen uns Träume zu.
Die Gezeiten sind uns wie das Heben und Senken der Brust. In Ebbe und Flut strömt uns das Sein entgegen und verläßt uns wieder. Nicht in einer Nische stehen wir, sondern mitten in der Welt. Im Auf und Ab des Tidenhubs trinken wir mit jedem Wimpernschlag das Licht.
Unser Leben ist Wasserkunst. Schmiegsam sind die Gelenke, wenn wir uns in die Flut drehen. Kein Scharnier knarrt. Widerstände in Leib und Seele haben wir abgelegt. Weich sind unsere Bewegungen, führen zum Ziel.
Wir sind gleichzeitig zuhause und unterwegs, mit all unseren Begabungen und Hinfälligkeiten. Wir »schwimmen« hinaus unter den freien Himmel des Seins. Zielsicher auf der Bahn, die uns die kosmische Linie zeigt, die wir selber sind.
Ich halte eine Karte in den Händen. Sie zeigt eine Brücke, die in Baden-Baden die Oos überspannt. Diese Brücke läßt an eine ausgestreckte Hand denken und an den Brückenschlag. Immer wieder suchen und wagen wir ihn.
Wie oft tragen wir Erwartungen mit uns herum. Wie spät treten wir in den Raum der Wahrheit ein. Wie bringen wir »uns« unseren Mitmenschen entgegen? Es entfalten sich Muster. Wie blättern sich eingeschlossene Knospen auf? Prägungen sind da, die beachtet sein wollen. Aber auch für sie gibt es die Umschmelzung, die Verwandlung.
Schmeichelnd mag Ihnen meine Stimme erscheinen, Undine, und sie ist es auch. Ich wünsche mir eine Engelszunge, die Stein durchdringt und das Harte mürbe macht. Mürbe und aufnahmebereit. Aber auch Wasser möchte ich aus dem Fels schlagen, einen Quell, der die Sandwüste feuchtet. Wie schmerzvoll kann es sein, bis jemand etwas hergibt.
Wenn man sich jahrelang über andere Texte gebeugt hat, so kommt man an eine Grenze. Alles Wünschen und alles Leben stößt sich immer wieder die Nase. Bin ich nicht allzuoft erpicht, wenn ich das Fremde an mich heranziehe, es beschreibe, bewerte: mich meinerseits in Szene zu setzen?
Aber es ist anders. Ich nehme die Gestalt meines Gegenüber an. Ich bin nur "Mundstück". Allerdings spricht sich, (wenn ich mich als das "Zweite" ganz klein mache), nicht das "Erste", nämlich mein Gegenüber, sondern EIN DRITTES aus. Das ist magisch. Eine Tür öffnet sich, oder Wände fallen und Hecken, Gebüsch, Unterholz im Wald werden mühelos durchschritten.
Kein Ich ist es, das gebieterisch ein anderes Ich zu sich heranruft. Ein Bote bin ich, der vorübergeht. Ich bleibe nicht bei den Pflanzstöcken, ich berühre sie nur mit dem Wachstumsstab. Hingabe nicht an mich, sondern an ein »es« - dazu rufe ich auf. Als Kind der schön geordneten Welt trägt ein jeder die Energien des Lichts und die Muster der gestaltschaffenden Kräfte in sich.
Was mich bewegt, ist immer die Annäherung an ein Talent, an ein Naturell, aber auch das Einschwingen in die Aura um dieses Menschenkind, zum Beispiel Sie, Undine. Sie beugen sich vor.
Sie beugen sich vor, Ihr weiblicher Leib hat jetzt diesen Charme der Frau. Sie rauchen dabei, Kräusel steigen auf, und die Unruhe im Fuß läßt Sie die dichte kurzhaarige Wolle des Tibetteppichs fühlen. Ihr Blick geht hinüber über Baumkronen zum Klostergarten. Heben und Senken der Brust sind das Atmen und Weiterdenken der Gedanken.
Erwartungen, die wir hegen, entlaufen dem Gehege so schnell. Ansprüche: Wer will ihnen genügen? Ein Wunder ist uns nicht zu Willen, sondern was uns trifft in der Punktgenauigkeit des uns Bestimmten, ist allem Wählen und Wollen entzogen.
Im tiefen Winter hoch oben am Mummelsee, auf dem sich im Sommer die Teichrosen drängen: über die verschneite Fläche gehen und an den denken, der raunt und flüstert. Der Sie beschwört, Undine, auf Zehenspitzen zu stehen und im Glück der Sehnsucht das Glück herauszufordern: mit zum Schlitz zusammengezogenen Augen gerade noch die letzte, die äußerste Grenze des Lichts zu erblicken.
Es gibt den schnellen Lauf durch den Irrgarten. Diese Hast im Labyrinth, sie zeigt die Sehnsucht, anzukommen, hinzugelangen, aus den Umwegen heraus ins Ziel zu treffen. Gedankenwege, sie können manchmal gar nicht anders als winkelig, sprunghaft, fliegend sein. Die Sprache hat Prozeßcharakter. Sie drängt nach vorn. Sie will nicht ruhen, sondern sich öffnen und sich entfalten. Unser "Leben und Weben" ist von Sprache durchwirkt. Aus fernen Tagen der langen Wintergespräche in Höhlen wachsen uns Wünsche, strömen uns Träume zu.
Die Gezeiten sind uns wie das Heben und Senken der Brust. In Ebbe und Flut strömt uns das Sein entgegen und verläßt uns wieder. Nicht in einer Nische stehen wir, sondern mitten in der Welt. Im Auf und Ab des Tidenhubs trinken wir mit jedem Wimpernschlag das Licht.
Unser Leben ist Wasserkunst. Schmiegsam sind die Gelenke, wenn wir uns in die Flut drehen. Kein Scharnier knarrt. Widerstände in Leib und Seele haben wir abgelegt. Weich sind unsere Bewegungen, führen zum Ziel.
Wir sind gleichzeitig zuhause und unterwegs, mit all unseren Begabungen und Hinfälligkeiten. Wir »schwimmen« hinaus unter den freien Himmel des Seins. Zielsicher auf der Bahn, die uns die kosmische Linie zeigt, die wir selber sind.