Dieter Baumann auf den Spuren von „Knulp“

Update: Bericht auf dieterbaumann.de

Sport, nein, Sport hat wirklich nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gezählt. Vom Fußballspiel im Klosterhof Maulbronn als 14jähriger mal abgesehen, das er später in milder Übertreibung als besonders wild charakterisierte – wie das eben Schriftsteller (aber nicht nur die) so an sich haben, wenn die Gedanken im Goldflor der Jugenderinnerungen herumirrlichtern. Auch sein fotografisch dokumentiertes Nacktklettern und die hüllenlosen Tänze auf der Waldlichtung des Monte Verità können grundeigentlich nicht zum Sport gezählt werden, ebenso wenig wie gelegentliche Kahnpartien auf der Nagold oder dem Neckar. Auch von den Figuren in seinen Romanen, Novellen und Erzählungen sind besondere sportliche Leistungen nicht zu vermelden, abgesehen von etlichen Fußmärschen, denen sich „Peter Camenzind“ oder „Knulp“ unterziehen. Sport also, gar Leistungssport auf olympischen Höhen, war Hermann Hesses Sache nicht. Desto aparter nun, dass einer der deutschen Heroen des Langstreckenlaufs in den bestens, mit meist sehnig gestählten Läufern gefüllten Kursaal Hirsau trabte, um dortselbst einige Passagen aus Hesses Landstreichererzählung „Knulp“ vorzutragen.

 
 Dieter Baumann
 

Dieter Baumann, Olympiasieger, Zahnpastaverkoster und frischgebackener Europavizemeister, hat mit dem Literaturnobelpreisträger Hesse durchaus einiges gemein: die fast asketische Hagerkeit, den wachen, bisweilen unsteten Blick hinter der etwas zu klein geratenen Brille mit den ovalen Gläsern, die weit nach hinten reichenden Geheimratsecken, die über den ausgeprägten Wangenknochen sich straffende Gesichtshaut. Wie die Titelfigur in Klaus Manns „Mephisto“ legt Baumann die Finger seiner schmalen Hände zu einem gotischen Spitzbogen zusammen, öffnet manchmal die Arme, als starte ein Engel die ersten Flugversuche. Seine Herkunft aus urschwäbischem Terrain ist dem Sportler deutlich anzuhören, so wie Hesses Sprache immer einen süddeutschen Einschlag hatte. Sogar das helle, bisweilen in die Höhe kippende Timbre weist gewisse Ähnlichkeiten auf zwischen Sportler und Literat.

Da sitzt nun also Dieter Baumann vor seinem Publikum, ein paar schräge Sonnenstrahlen spielen mit den starkfarbigen Zinnien des Buketts auf der Bühne und mit dem Lackbraun, das aus dem aufgeplatzten Rosa der Leiste an der Bühnenvorderseite hervorschimmert, die Töne der Abendglocke vom Klosterturm schwingen satt in den Saal. Ein „Läbenskünschtler“ sei der Knulp, bringt Baumann den Unkundigen die Titelfigur der Hesse-Erzählung näher und beginnt zu lesen. Zunächst die Passage, in der Knulp bei seinem alten Freund, dem Schneider Schlotterbeck, einkehrt. Sicher ist der preisgekrönte Langläufer Baumann kein Rezitator, doch ein nuschelnder Langeweiler ist er auch nicht. Durchaus lebendig weiß der Sportler die Dialoge in Szene zu setzen, forciert ab und an die Stimme, unterstreicht mit häufigerem Kopfnicken die Bedeutung der Sätze, lässt die Stimme in weichere Tiefen abgleiten, als Knulp von seinem Sohn erzählt. Die schwäbisch-nasale Abtönung mancher Vokale stört nicht, auch nicht in der im Besinnungston gehaltenen Traumerzählung.

Bei Knulps Ende, in einer eigens gerafften „Baumann-Version“, bekommt Gott zwar deftig-heftige menschliche Spracheigenheiten, doch erweist sich auch dabei: Lesen und Laufen schließen sich nicht aus, der Sprechschritt durch Hesse ist federnd wie Baumanns Laufstil. Für letzteres gibt’s Medaillen.

Sebastian Giebenrath

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