Ponzi: Mythos der Jugend ist nicht vom Lebensalter abhängig
Prof. Dr. Mauro Ponzi
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Prof. Dr. Gilbert Merlio von der Sorbonne in Paris gratulierte dem italienischen Kollegen zum gelungenen Vortrag und die Zuhörer im Georgenäum dankten mit anhaltendem Applaus. Mauro Ponzi, Professor an der Universität von Rom und inzwischen Vize-Präsident der neugegründeten Hermann Hesse-Stiftung, beschäftigt sich seit über 20 Jahren intensiv mit Hesse.
Die Beat-Generation habe Hesse zwar missverstanden, leitete Ponzi seinen Vortrag ein, jedoch den eigentlichen Kern seiner Werke recht gut durchschaut und auch in der Formel „forever young“ treffend gefasst: Nämlich, Hesses Glaube an die Möglichkeit eines jeden Individuums, sich selbst in jedem Moment zu erneuern und die Richtlinien seines Lebens zu ändern. Diese Fähigkeit, neue Perspektive für sich zu schaffen, wird in Hesses Romanen oft durch die Figur eines jungen Menschen dargestellt. Als einleuchtendes Beispiel führte Ponzi „Siddhartha“ an: Der Generationengegensatz scheint dort anfangs unüberbrückbar, Siddhartha will seinen Durst nach Lebenserfahrung auf eigene Faust stillen, sich nicht vom Vater belehren lassen. Anhand des Romans wird – so Ponzi – die Erkenntnis erbracht, dass Erfahrungen unübermittelbar sind und jeder seinen eigenen Weg zur Wahrheit und durch unterschiedliche Bildungserlebnisse gehen muss. Dabei wird die Jugend zum privilegierter Ort, in dem sich die Bildung des Menschen vollzieht; Hesse verwendet folglich die literarische Form der Bildungsromane und stellt den romantischen Mythos der Jugend wieder her. Trotzdem begrenzt Hesse den Begriff Jugend nicht biologisch: Man müsse Jugend bei Hesse als „Landschaft der Seele“ mythisch und symbolisch verstehen, erklärte Ponzi.
Der Mythos der Jugend sei eine Kategorie des Geistes sowie der Glaube an die Unzerstörbarkeit des Lebens. Die „merkwürdige Leistung“ Hesses sieht Mauro Ponzi in dessen Fähigkeit, in einem komplexen literarischen Verfahren psychoanalytische Elemente mit Nietzsches Denken und dem Mythos der Jugend zu verflechten. Seine optimistische Weltanschauung schließt Schmerz, Scheitern und Nihilismus nicht aus, sondern wird als Voraussetzung zur Erreichung der Einheit des Seins betrachtet.