Hermann Hesses 125. Geburtstag und die neuerliche Anlaßrezeption

 
   

Die wenigen aussagekräftigen Beiträge zu diesem Ereignis waren allerdings erschütternd. Und nicht nur deutsche Stimmen waren es, die sich unisono zu einem Chor der Zyniker vereinigten und nichts Gutes an Hesse lassen wollten als seine hohen Verkaufszahlen und das viele Geld eben, von dem so mancher Schreiber des Suhrkamp Verlages jetzt lebt.
Die schriftstellerische Bedeutung wird ihm vollkommen abgesprochen, allenfalls hat man Respekt vor seinen menschlichen Qualitäten, die man in seinen Büchern in rührend dilletantischer Form zu finden glaubt. Er wird als „Prophet der Pubertät“ betitelt, und so hat man es denn auch leichter, Hesses Bücher und seine Person zu verspotten und zu belächeln. Es genügt, wenn ein gewisser Reich-Ranicki im TV am Ende einer seiner Selbstdarstellungsfeiern marginal bemerkt, „Unterm Rad“ sei ja noch lesenswert, aber alles in allem seien die Zeiten des Hermann Hesse endgültig vorüber.

Es ließen sich Seiten füllen mit diesen und ähnlichen Aussagen sogenannter renommierter Kritiker und Schriftsteller. Auch Universitätsprofessoren reihen sich unter diese traurigen Verächter ein: In Wien etwa bedient man sich der naheliegenden Metapher der „leeren Flasche“, die Hesses Glasperlenspiel meint, wenn der Autor der Schmähschrift in einer österreichischen „unabhängigen“ Wochenzeitschrift sich betrogen fühlt durch seine eigene Unfähigkeit, den Inhalt des Hesse-Werkes zu erfassen. Wie leicht man sich es doch macht in unserern Tagen: was man nicht versteht, erklärt man einfach für einen Etikettenschwindel. Früher einmal waren Universtätsprofessoren gebildete und geistvolle Personen, heute sind sie glatt konditionierte, antichambrierende Hündchen einer „feuilletonistischen“ Gesellschaft (um Hesses Wort zu verwenden), die brav Männchen machen und ihr Zeilenhonorar apportieren.
Die interessante Frage ist doch: warum hat sich der oben erwähnte Menschentypus gerade Hesse als Zielscheibe ausgesucht? Warum werden Hesses Bücher so sehr abgelehnt und diskreditiert in unserer Gesellschaft, die sich erhaben fühlt über jene Themen, die Hermann Hesse sein Leben lang beschäftigt haben?
Man kann die Hesse-Verächter grob in zwei Gruppen einteilen. Zum einen sind da jene, die in jüngeren Jahren selbst mit großer Begeisterung Hesse gelesen haben, mittlerweile aber „erwachsen“ geworden sind. Zum anderen gibt es die Berufszyniker, die, mit von Neid auf den Erfolg der wirklichen Schriftsteller und Hass auf sich selbst enstelltem Gesicht, um sich schlagen und allzu gerne auch noch auf Hesse draufhauen. Denn bei einer Strafaktion gegen erfolgreiche Schriftsteller ist man gerne dabei…

Die einen haben das Problem, daß sie selbst einmal sehr beeindruckt waren von „Demian“, „Siddhartha“, „Steppenwolf“ oder „Narziß und Goldmund“, um nur die meistgenannten Werke Hesses zu erwähnen. Damals fühlten sie lebhaft, etwas Wichtigem und Wesentlichem begegnet und möglicherweise auch erdrückt zu sein von dem Anspruch, den sie an sich selbst stellten. Für sie war das mehr als eine Phase ihrer Jugend, mehr als ein Modetrend wie etwa Vespafahren oder Windsurfen. Wenn sie auch weder das eine noch das andere heute noch ausüben ist diese Art von Begeisterung, die an bestimmte Lebensjahre gebunden scheint, nicht zu vergleichen mit der Bewegung, die die Lektüre von Hesses Werken in ihren Gemütern erzeugt hatte. Später ging man dann eben seinen Weg, studierte oder etablierte sich auf andere Weise in einer Branche und bekam langsam einen Bauch, ein Auto und was so alles dazugehört. Der dazu nötige Selbstbetrug in der Weltsicht bekam anderweitig gute Nahrung, und man wurde zu dem, der man jetzt ist.

 
Klick zum Vergrößern Albert Camus (Portrait)
 

Albert Camus sagt dazu: „Ab einem gewissen Alter ist jeder Mensch für sein Gesicht selbst verantwortlich.“ Hätte man sich entwickelt, dann würde man niemals in eine Quelle spucken, aus der man getrunken hat. Die Verachtung Hesses jener also ist als Hilflosigkeit und als Ablehnung eigener Ideale und Weltsichten dieser jungen Jahre zu erkennen, sozusagen als die verkrüppelte Form der alten, verratenen Ideale. Und genau das ist der Punkt: was man nicht integriert, verarbeitet und verstanden hat, dem steht man konfliktbeladen gegenüber, und so ergeben sich dann vor laufender Kamera und eingeschalteten Mikrofonen peinliche Szenen, in denen man die alte Sympathie noch erkennen kann, die jetzt aber von Zynismus und Lebensenttäuschung überwuchert ist. Es finden sich auch in unseren Schulen viele solcher Exemplare, die eben Lehrer geworden sind.

Die andere Gruppe erregt weniger Mitgefühl, wiewohl sie noch übler dran ist als die 68er-Typen unserer ersten Gruppe. Durch ihren selbstgefälligen Zynismus (Ehrl-König) erscheinen sie gewissermaßen einbetoniert in einer dicken Panzerung aus Vorurteilen, Unwissenheit und einer Endlosschleife der Selbstbestätigung und Bestätigung durch die entsprechenden Gruppen im applaudierenden Publikum. Ja, diese gibt es immer noch.
Ihnen ist die Bühne überlassen, sie hören wir reden in Funk und Fernsehen, und sie bekommen nicht wenig Geld für ihre häßlichen und falschen Worte. Man sollte das alles nicht unwidersprochen lassen, auch wenn man sich in der Minderzahl sieht und wenn man schon müde ist vom Kampf gegen Windmühlen.

Hesses Werke erfüllen das, was Eltern, Schule und Gesellschaft nicht mehr erfüllen können, wahrscheinlich nie erfüllen konnten: sie wecken in uns und sprechen mit uns über die echten Themen, die großen und die täglichen Fragen. Sie stehen auf Seiten des verletzlichen, sich entwickelnden und lernenden (geistigen) Menschen, dessen Anspruch an sein Leben nicht mit Besitz und Konvention erschöpft ist. Und Hesse ist einer der letzten und wenigen, die „das Geistige“ noch wahrnehmen konnten und dieses nicht auf ein Epiphänomen gehirnchemischer Prozesse reduzierte, wie wir es heute schon in der Schule lernen.

Hermann Hesse, der einer der ganz Großen ist, braucht keinen Anwalt. Das alles hat er längst selbst erfüllt: Seine Kritiker und Verächter hat er beantwortet, mit dem Unverständnis und der Verachtung vieler gelebt. Wir lesen ihn und wir lieben ihn.

Benedikt Zsalatz, 24.7.2002

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