Hesse-Lesebuch von der „Rocknachtigall“
Buchcover
|
CALW. An Selbstbewusstsein hat es dem Schöpfer der „Andrea Doria“ und vom „Sonderzug nach Pankow“ nun wahrlich noch nie gemangelt. Udo Lindenberg gehört seit Jahrzehnten sozusagen zum Inventar deutscher Massenkultur. Wenngleich er mit seinem Hut, den langen Haaren und der angekörnten Nuschelstimme eher an „Hans Huckebein“, den Raben, erinnert, so stellt sich Udo selbst doch als „Rocknachtigall“.vor. Aber schließlich gehören die Raben, rein ornithologisch betrachtet, ebenfalls zu den Singvögeln und schlau sind sie obendrein.
Ob nun Herzensbedürfnis, wahre Literaturbegeisterung oder clevere Marketingstrategie – wie auch immer: Udo Lindenberg verbindet seinen zugkräftigen Namen mit dem nicht minder berühmten des Calwer Literaturnobelpreisträgers und meistgedruckten, deutschsprachigen Autors des 20. Jahrhunderts, Hermann Hesse. Und so entstand ein recht preisgünstiges Taschenbuch mit dem schlichten Titel „Mein Hermann Hesse“, auf dem Umschlag geschmückt mit einer Fotomontage, die in leichter Unschärfe und sanftem Biedermeiergrün groß den gütig lächelnden Dichter zeigt, unten rechts flankiert von einem verschwindend kleinen, violettstichigen Ganzfigurenportrait Udos.
Mit einem handelsüblich flott-unverbindlichen „Hallo“ und der Vorstellung als „Rocknachtigall“ beginnt das Vorwort, in dem Udo sein Verhältnis zu Hesse beschreibt. Wie Miliionen in aller Welt ist der Sänger iwährend der Hippie-Zeit erstmals mit Hesse-Texten in Beührung gekommen, verschlang „Demian“,,„Unterm Rad“ und etwas später „Siddhartha“. Lindenberg schreibt dazu: „Noch nie hatte ich etwas gelesen, in dem ich mich so wiederfinden konnte, in dem meine eigene Situation so genau reflektiert wurde.“ Verkaufstüchtig vergisst er nicht, das Vorwort mit eigenen Songtexten, sogar in Englisch, aufzuplustern – willkommenes Schmankerl gewiss für eingefleischte Udo-Fans, nette Gebrauchslyrik eben im etwas seltsamen Kontrast zu den ausgewählten Hesse-Gedichten im Buch.
Dieses nun profitiert ersichtlich davon, dass sich Lindenberg der Mithilfe des ausgewiesenen Hesse-Experten Herbert Schnierle-Lutz versichert hat. Klug zusammengestellt, vereint dieses Hesse-Lesebuch Lyrik aus den frühen und mittleren Schaffensjahren des Dichters, sorgsam gekürzte Auszüge aus „Demian“ , „Siddhartha“ und „Klingsors letzter Sommer“, den „Tractat vom Steppenwolf“, sowie die anrührenden Erzählungen „Kindheit des Zauberers“, „Pictors Verwandlungen“, und anderes mehr.
Besonderer Zugewinn und des Lobes wahrhaftig würdig sind die auf über 40 Seiten ausgebreiteten Zitate aus Hesse-Werken und markanten Briefe, letztere zumeist an junge Menschen gerichtet. Und dabei erweist sich auch recht schnell, dass Hesse keineswegs jener weltentrückte Weichspülautor war, als den ihn gern viele Germanisten und Feuilletonisten zu Unrecht abstempeln. So befindet Hesse in einem Brief aus dem Jahr 1922: „Wo die edleren Triebe verrecken, siegt das Karnickel; es macht keine Ansprüche, fühlt sich wohl und pflanzt sich zahllos fort.“
Einerseits mahnt Hesse seine jugendlichen Adressaten immer wieder, „ein wirklich persönliches und einmaliges Leben (aber kein Durchschnittsleben) zu führen.“ Andererseits indes konnte er den Brief eines jungen Mannes im Sommer 1931 ganz gallig abbürsten: „Er zeigt die typische Haltung Ihrer Generation: Zynismus auf Grund von Verantwortungslosigkeit, Verzweiflung auf Grund von Anarchie. Dagegen gibt es kein Heilmittel, es werden Kriege und andere Schweinereien daraus entstehen….Wenn Ihr schon nichts ernst nehmen könnt, so versucht wenigstens Euch selbst ernst zu nehmen.“
Mögen vielleicht auch manche an der Lauterkeit und Uneigenützigkeit von Udo Lindenbergs Motiven zur Herausgabe dieses Hesse-Lesebuchs zweifeln – ein höchst nützliches und sehr lesenswertes Buch ist es allemal, und daher der Kauf uneingeschränkt zu empfehlen.
Sebastian Giebenrath